Das Schutzschirmverfahren ist ein sehr sinnvolles Instrument, um Restrukturierungsmaßnahmen bei einer nahenden Krise planvoll und zielorientiert anzustoßen.
Mit dem „Gesetz zur weiteren Erleichterung der Sanierung von Unternehmen“ (ESUG) von 2011/12 wurde im deutschen Insolvenzrecht ein Paradigmenwechsel eingeleitet: Ein Insolvenzverfahren sollte fortan nicht mehr primär der Zerschlagung des Unternehmens zur bestmöglichen Befriedigung der Gläubiger dienen, sondern vor allem die Möglichkeit einer Sanierung erleichtern.
Erklärtes Ziel der durch das ESUG modernisierten Insolvenzordnung ist, dass überlebensfähigen Unternehmen stärker als bisher eine echte Chance zur Sanierung geboten werden soll. Ein Insolvenzverfahren soll nicht primär der Zerschlagung des Unternehmensträgers zur bestmöglichen Befriedigung der Gläubiger dienen, sondern auch die Möglichkeit einer Sanierung eröffnen. Aber dies soll nicht zum Selbstzweck erfolgen, sondern insbesondere eine Besserstellung der Gläubiger gegenüber einer Zerschlagung oder übertragenden Sanierung (Stichwort asset deal) eröffnen.
Grund für diese veränderte Strategie in der Insolvenzordnung war unter anderem auch, dass sich verschiedene deutsche Restrukturierungsfälle in das Ausland begeben hatten, um nach dortigem nationalen Recht die wirtschaftlich erforderlichen Restrukturierungsmaßnahmen umzusetzen. Der deutsche Gesetzgeber sah sich seinerzeit aus dem „Wettbewerb der Rechtsordnungen“ heraus gezwungen, Elemente in seine nationale Rechtsordnung einfließen zu lassen, die von den Unternehmen bzw. den Rechtsanwendern „nachgefragt“ wurden.
Schutzschirmverfahren als neues Element im deutschen Insolvenzrecht
Ein im deutschen Insolvenzrecht bis dahin neues Element ist die Möglichkeit des Schuldners, sich im Rahmen der Vorbereitung einer Sanierung bei einer drohenden Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung in ein sogenanntes Schutzschirmverfahren zu begeben (§ 270b InsO). Der Schuldner kann dann für eine Zeit von bis zu drei Monaten Vollstreckungsschutz erhalten und die Kontrolle über sein Unternehmen sichern. In dieser Zeit kann der Schuldner ein Sanierungskonzept erarbeiten, das er dann als Insolvenzplan im später eröffneten Insolvenzverfahren als sogenannten „prepackaged plan“ zur Abstimmung stellen kann.
Ein Schutzschirmverfahren steht stets im Kontext einer Eigenverwaltung
Das Schutzschirmverfahren steht aber nicht isoliert in der Insolvenzordnung. Es handelt sich beim Schutzschirmverfahren um den Spezialfall einer vorläufigen Eigenverwaltung gemäß § 270a InsO. D. h., ein Schutzschirmverfahren steht immer im Kontext einer Eigenverwaltung. Demzufolge darf ein Insolvenzgericht ein Schutzschirmverfahren nur dann anordnen, wenn ein Antrag auf Anordnung der Eigenverwaltung nicht offensichtlich aussichtslos ist, d. h., ein Schutzschirmverfahren darf keine Nachteile für die Gläubiger erwarten lassen (vgl. §§ 270a Abs. 1 Satz 1, 270 Abs. 2 Nr. 2 InsO).
Demzufolge stellt das Schutzschirmverfahren eine Stärkung der Eigenverwaltung dar. Vereinzelte Insolvenzrichter haben auch schon vor der Kodifizierung des Schutzschirmverfahrens Schuldnern für eine Zeit von drei Monaten einen Vollstreckungsschutz gewährt, ohne dass eine ausdifferenzierte gesetzliche Regelung hierzu existierte. Das vage Hoffen auf einen innovativen oder wohlwollenden Insolvenzrichter wurde dann aber durch eine verbindliche gesetzliche Regelung, die Tatbestandsvoraussetzungen und Rechtsfolgen nennt, abgelöst.
Schutzschirmverfahren muss genau geplant werden
Mit dem Schutzschirmverfahren kann das wirtschaftlich angeschlagene Unternehmen den Sanierungsprozess eigenständig fortsetzen und Konzepte zur Eigensanierung weiterverfolgen, ohne dass ihm dabei die Kontrolle über das Verfahren durch das Insolvenzgericht entzogen wird. Das Unternehmen kann daher seine Sanierungsmannschaft selbst aussuchen und bekommt durch das Gesetz die Rechtssicherheit, dass Dritte diese Sanierungsmannschaft nicht auswechseln können. Mit dem Schutzschirmverfahren kann in personeller und inhaltlicher Hinsicht der Sanierungsprozess kontinuierlich und selbstbestimmt gestalten werden.
Nach einem gescheiterten außergerichtlichen Versuch einer Eigensanierung kann diese mit insolvenzrechtlichen Instrumentarien in Form eines Schutzschirmverfahren fortgesetzt werden. Viel Zeit bleibt dem Unternehmen dann aber nicht. Denn das kriselnde Unternehmen muss das Schutzschirmverfahren frühzeitig zur außergerichtlichen Sanierung mit einplanen. Von allergrößter Wichtigkeit bei einem Schutzschirmverfahren, dessen zentrales Element als Mittel der Eigensanierung der vorzubereitende Insolvenzplan darstellt, ist eine genaue Planung des Schutzschirmverfahrens. Ad hoc und ungeplant ein Schutzschirmverfahren zu initiieren ist nicht möglich.
Die gesetzliche Regelung des § 270b InsO, die zum 01. März 2012 in Kraft trat, sieht wie folgt aus, wobei diese in die Regelungen der § 270a InsO (Eröffnungsverfahren der Eigenverwaltung) und § 270c InsO (Bestellung des Sachwalters) eingebettet ist:
§ 270a InsO
Eröffnungsverfahren
(1) Ist der Antrag des Schuldners auf Eigenverwaltung nicht offensichtlich aussichtslos, so soll das Gericht im Eröffnungsverfahren davon absehen,
1. dem Schuldner ein allgemeines Verfügungsverbot aufzuerlegen oder
2. anzuordnen, dass alle Verfügungen des Schuldners nur mit Zustimmung eines vorläufigen Insolvenzverwalters wirksam sind.
Anstelle des vorläufigen Insolvenzverwalters wird in diesem Fall ein vorläufiger Sachwalter bestellt, auf den die §§ 274 und 275 entsprechend anzuwenden sind.
(2) Hat der Schuldner den Eröffnungsantrag bei drohender Zahlungsunfähigkeit gestellt und die Eigenverwaltung beantragt, sieht das Gericht jedoch die Voraussetzungen der Eigenverwaltung als nicht gegeben an, so hat es seine Bedenken dem Schuldner mitzuteilen und diesem Gelegenheit zu geben, den Eröffnungsantrag vor der Entscheidung über die Eröffnung zurückzunehmen.
§ 270b InsO
Vorbereitung einer Sanierung
(1) Hat der Schuldner den Eröffnungsantrag bei drohender Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung gestellt und die Eigenverwaltung beantragt und ist die angestrebte Sanierung nicht offensichtlich aussichtslos, so bestimmt das Insolvenzgericht auf Antrag des Schuldners eine Frist zur Vorlage eines Insolvenzplans. Die Frist darf höchstens drei Monate betragen. Der Schuldner hat mit dem Antrag eine mit Gründen versehene Bescheinigung eines in Insolvenzsachen erfahrenen Steuerberaters, Wirtschaftsprüfers oder Rechtsanwalts oder einer Person mit vergleichbarer Qualifikation vorzulegen, aus der sich ergibt, dass drohende Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung, aber keine Zahlungsunfähigkeit vorliegt und die angestrebte Sanierung nicht offensichtlich aussichtslos ist.
(2) In dem Beschluss nach Absatz 1 bestellt das Gericht einen vorläufigen Sachwalter nach § 270a Absatz 1, der personenverschieden von dem Aussteller der Bescheinigung nach Absatz 1 zu sein hat. Das Gericht kann von dem Vorschlag des Schuldners nur abweichen, wenn die vorgeschlagene Person offensichtlich für die Übernahme des Amtes nicht geeignet ist; dies ist vom Gericht zu begründen. Das Gericht kann vorläufige Maßnahmen nach § 21 Absatz 1 und 2 Nummer 1a, 3 bis 5 anordnen; es hat Maßnahmen nach § 21 Absatz 2 Nummer 3 anzuordnen, wenn der Schuldner dies beantragt.
(3) Auf Antrag des Schuldners hat das Gericht anzuordnen, dass der Schuldner Masseverbindlichkeiten begründet. § 55 Absatz 2 gilt entsprechend.
(4) Das Gericht hebt die Anordnung nach Absatz 1 vor Ablauf der Frist auf, wenn
1. die angestrebte Sanierung aussichtslos geworden ist;
2. der vorläufige Gläubigerausschuss die Aufhebung beantragt oder
3. ein absonderungsberechtigter Gläubiger oder ein Insolvenzgläubiger die Aufhebung beantragt und Umstände bekannt werden, die erwarten lassen, dass die Anordnung zu Nachteilen für die Gläubiger führen wird; der Antrag ist nur zulässig, wenn kein vorläufiger Gläubigerausschuss bestellt ist und die Umstände vom Antragsteller glaubhaft gemacht werden.
Der Schuldner oder der vorläufige Sachwalter haben dem Gericht den Eintritt der Zahlungsunfähigkeit unverzüglich anzuzeigen. Nach Aufhebung der Anordnung oder nach Ablauf der Frist entscheidet das Gericht über die Eröffnung des Insolvenzverfahrens.
§ 270c InsO
Bestellung des Sachwalters
Bei Anordnung der Eigenverwaltung wird anstelle des Insolvenzverwalters ein Sachwalter bestellt. Die Forderungen der Insolvenzgläubiger sind beim Sachwalter anzumelden. Die §§ 32 und 33 sind nicht anzuwenden.
Aus dem Gesetz lassen sich zunächst folgende Voraussetzungen für das „Aufspannen“ des Schutzschirmverfahrens ableiten:
- Gesonderter Antrag des Schuldners,
- der Schuldner darf seine Zahlungen noch nicht eingestellt haben bzw. noch nicht zahlungsunfähig sein und
- die Sanierung des Schuldners darf nicht offensichtlich aussichtslos sein.
Der Schuldner hat die Voraussetzungen im Einzelnen darzulegen. Hierzu ist dem Gericht eine mit Gründen versehene Bescheinigung eines in Insolvenzsachen erfahrenen Steuerberaters, Wirtschaftsprüfers oder Rechtsanwalts oder einer Person mit vergleichbarer Qualifikation vorzulegen.
Maßgebend wird dann sein, ob tatsächlich lediglich die Zahlungsunfähigkeit droht oder ob diese bereits eingetreten ist.
Liegen die genannten Voraussetzungen vor, bestimmt das Gericht eine Frist zur Vorlage eines Insolvenzplanes, die längstens drei Monate beträgt. Ferner bestellt das Gericht einen Sachwalter.
Vorschläge des Schuldners hat das Gericht zu berücksichtigen, es sei denn, die vorgeschlagene Person ist offensichtlich für die Übernahme des Amtes nicht geeignet. Der Sachwalter muss ferner personenverschieden von dem Aussteller der genannten, die Gründe darlegenden Bescheinigung sein.
Ein Mitwirkungsrecht für einen vorläufigen Gläubigerausschuss sieht das Gesetz nicht vor.
Als Rechtsfolgen sieht das Gesetz dann vor,
- dass Maßnahmen der Zwangsvollstreckung gegen den Schuldner zu untersagen oder einstellen sind, sofern der Schuldner dies beantragt,
- dass ein Verwertungsverbot nach § 21 Abs. 2 Nr. 5 InsO auszusprechen ist und
- dass (freiwillig) ein vorläufiger Gläubigerausschuss eingesetzt werden kann.
- Das Gericht kann nicht
- einen Sachverständigen oder vorläufigen Insolvenzverwalter bestellen und damit das Eröffnungsverfahren vorantreiben oder
- ein allgemeines Verfügungsverbot oder einen Zustimmungsvorbehalt erlassen.
Während des Schutzschirmverfahrens wird nicht über den Eröffnungsantrag entschieden
D. h., solange die bis zu drei Monate offene Frist zur Vorlage eines Insolvenzplans läuft, also das Schutzschirmverfahren weder beendet noch aufgehoben wurde, darf das Insolvenzgericht nicht über den Eröffnungsantrag (vgl. § 13 InsO) entscheiden, welcher jedem Schutzschirmantrag zwingend zugrunde liegt (sogenannter Suspensiveffekt; § 270b Abs. 1 InsO). Dieser Suspensiveffekt besteht auch bezüglich anderer, paralleler Gläubigeranträge. Das Unternehmen erhält damit bis zu drei Monate Zeit, um einen Insolvenzplan für eine Eigensanierung vorzubereiten.
Hat das Unternehmen dann einen vorläufigen Sachwalter vorgeschlagen, der die allgemeinen Anforderungen an dieses Amt nicht offensichtlich verfehlt, tritt eine Bindungswirkung sowohl für das Insolvenzgericht als auch für den vorläufigen Gläubigerausschuss ein (§ 270b Abs. 2 Satz 2 InsO).
Das Insolvenzgericht muss dann dem Unternehmen auf Antrag Vollstreckungsschutz gewähren (§ 270b Abs. 2 Satz 3 InsO), sodass es eine vollstreckungsmäßige „Verschnaufpause“ erhält. Dass Gericht muss dann das Unternehmen auf Antrag auch ermächtigen, Masseverbindlichkeiten zu begründen (§ 270b Abs. 3 Satz 1 InsO). Hierdurch werden die neuen Forderungen der Gläubiger im später eröffneten Insolvenzverfahren besser gestellt und die Lieferanten erhalten Sicherheit, dass ihre Forderungen bedient werden und sie auch keinen Anfechtungsgefahren ausgesetzt werden (das ist sehr wichtig bei der unberechenbaren Rechtsprechung der Gerichte in Bezug auf die Anfechtungsregelungen). Hierdurch kann Vertrauen bei den Lieferanten hergestellt bzw. zurückgewonnen werden.
Höheres Maß an Verbindlichkeit und Rechtssicherheit
Gegenüber einer bloßen vorläufigen Eigenverwaltung gemäß § 270a InsO tritt ein höheres Maß an Verbindlichkeit und Rechtssicherheit ein.
Das Gericht muss das Schutzschirmverfahren aufheben, wenn
- die angestrebte Sanierung aussichtslos geworden ist,
- der vorläufige Gläubigerausschuss die Aufhebung beantragt oder wenn kein Gläubigerausschuss eingesetzt ist oder
- ein absonderungsberechtigter Gläubiger oder ein Insolvenzgläubiger die Aufhebung beantragt und diese Gläubiger benachteiligende Umstände des Schutzschirmverfahrens glaubhaft machen.
Das Insolvenzgericht wird dann, wenn das Schutzschirmverfahren durch das Gericht aufgehoben wird, über die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens entscheiden.
Auf Initiative des Rechtsausschusses des Deutschen Bundestages sind in allerletzter Minute zwei sehr wichtige Punkte in das Gesetz aufgenommen worden:
- Der Eintritt der Zahlungsunfähigkeit im Laufe des Schutzschirmverfahrens führt nicht zur Aufhebung des Schutzschirmverfahrens,
- der eigenverwaltende Schuldner kann durch alle seine Rechtshandlungen im Sinne von § 55 Abs. 2 InsO Masseverbindlichkeiten begründen. Er steht damit faktisch einem vorläufigen, starken Insolvenzverwalter gleich. Eine Betriebsfortführung im Eröffnungsverfahren soll hierdurch erreicht werden.
Um die erforderliche Aufsicht durch das Insolvenzgericht sicherzustellen, wurde aber die Anzeigepflicht des Schuldners bzw. des vorläufigen Sachwalters in Bezug auf den Eintritt der Zahlungsunfähigkeit im Schutzschirmverfahren (§ 270b Absatz 3 Satz 2 InsO) beibehalten.
Fazit
Das Schutzschirmverfahren bildet ein sehr sinnvolles Instrument, um Restrukturierungsmaßnahmen bei einer nahenden Krise planvoll und zielorientiert anzustoßen. Das A und O eines Schutzschirmverfahrens ist aber die weitsichtige Planung und die Einbindung von Sanierungsprofis, die zusammen mit dem Unternehmen selbstbestimmt die Sanierung innerhalb des Rahmens der Insolvenzordnung durchführen.