Wir informieren hier und in einem Webinar am 10. Februar 2021 über Änderungen bei der Insolvenzantragspflicht, die neue Pflicht zur Krisenfrüherkennung und Neuerungen im Mietrecht.
In dem Tempo, in dem das COVID-19-Virus mutiert, ändert sich auch die deutsche Gesetzgebung. Wir geben Ihnen daher ein Update zu unseren Beiträgen in bdp aktuell 175 und 176 und laden Sie erneut herzlich zu einem Webinar am 10. Februar 2021 um 16:00 bis 17:00 Uhr ein, in dem wir über das nun verabschiedete Gesetz informieren werden.
In Ausgabe 176 von bdp aktuell haben wir über den Stand der Gesetzgebung unmittelbar vor Weihnachten 2020 berichtet. Mit Spannung haben wir auf die Entscheidung des Bundestages über den Gesetzentwurf der Bundesregierung zum „Gesetz zur Fortentwicklung des Sanierungs- und Insolvenzrechts („SanInsFoG-RegE“)“ vom 14.10.2020 gewartet. Am 17.12.2020 hat der Bundestag das Gesetz angenommen. Es ist wie vorgesehen – und trotz deutlicher Kritik an der Hast, mit der es entworfen und verabschiedet wurde – am 01. Januar 2021 in Kraft getreten.
In der kurzen Zwischenzeit sind weitere Gesetze zum Insolvenzrecht ergangen, die wir Ihnen zusammen mit den Einzelheiten zum SanInsFoG-RegE vorstellen. Da die vom Bundestag verabschiedete Fassung des SanInsFoG sich in einigen wesentlichen Punkten vom Regierungsentwurf, den wir in unserer letzten Ausgabe besprochen haben, unterscheidet, stellen wir zunächst diese Änderungen dar, zusammen mit den weiteren in der Zwischenzeit verabschiedeten oder in Aussicht gestellten Gesetzen und Gesetzesänderungen.
Die Aktualisierungen betreffen folgende Bereiche:
- Änderungen bei der Insolvenzantragspflicht
- Pflicht zur Krisenfrüherkennung
- Änderungen im Miet- und Pachtrecht
Änderungen bei der Insolvenzantragspflicht
Definition des Prognosezeitraums bei Überschuldung
Wie vorgesehen wird durch das SanInsFoG in § 19 Abs. 2 Satz 1 InsO der Prognosezeitraum für die Fortbestehensprognose erstmalig gesetzlich geregelt: Überschuldung liegt vor, wenn das Vermögen des Schuldners die bestehenden Verbindlichkeiten nicht mehr deckt, es sei denn, die Fortführung des Unternehmens in den nächsten zwölf Monaten ist nach den Umständen überwiegend wahrscheinlich.
Ebenso ist die Rückausnahme im COVInsAG für den „Prognosezeitraum für die Überschuldungsprüfung“ geblieben, wonach zwischen dem 01. Januar 2021 und dem 31. Dezember 2021 anstelle des Zeitraums von zwölf Monaten ein Prognosezeitraum von vier Monaten zugrunde zu legen ist, wenn die Überschuldung des Schuldners auf die COVID-19-Pandemie zurückzuführen ist. Diese Änderung betrifft also die Verpflichtung der Geschäftsleitung, bei Vorliegen einer Überschuldung einen Insolvenzantrag zu stellen.
Diese Definition des Prognosezeitraums ist im Sinne einer Rechtsklarheit zu begrüßen.
Aussetzung der Insolvenzantragspflicht bei Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung bis 30.04.2021
In das COVInsAG, § 1, wurde mit Wirkung vom 01. Januar 2021 auch folgende Regelung aufgenommen, die sowohl die Antragspflicht wegen Überschuldung als auch wegen Zahlungsunfähigkeit betrifft:
„Vom 1. Januar 2021 bis zum 31. Januar 2021 ist die Pflicht zur Stellung eines Insolvenzantrags ... für die Geschäftsleiter solcher Schuldner ausgesetzt, die im Zeitraum vom 1. November 2020 bis zum 31. Dezember 2020 einen Antrag auf die Gewährung finanzieller Hilfeleistungen im Rahmen staatlicher Hilfsprogramme zur Abmilderung der Folgen der COVID-19-Pandemie gestellt haben. War eine Antragstellung aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen innerhalb des Zeitraums nicht möglich, gilt Satz 1 auch für Schuldner, die nach den Bedingungen des staatlichen Hilfsprogramms in den Kreis der Antragsberechtigten fallen. Die Sätze 1 und 2 gelten nicht, wenn offensichtlich keine Aussicht auf Erlangung der Hilfeleistung besteht oder die erlangbare Hilfeleistung für die Beseitigung der Insolvenzreife unzureichend ist.“ (§ 1 Abs. 3 COVInsAG)
Aufgrund der anhaltenden Belastungen der Wirtschaft durch die COVID-19-Pandemie hat die Bundesregierung am 20.01.2021 auf Empfehlung des Bundesrats beschlossen, die Insolvenzantragspflicht bei Überschuldung und Zahlungsunfähigkeit aufgrund der vorstehenden Regelung über den 31.01.2021 hinaus bis zum 30.04.2021 auszusetzen.
Dem Beschluss der Bundesregierung ist zu entnehmen, dass damit der weiterhin schleppenden Auszahlung der Corona-Hilfen Rechnung getragen werden soll. Allerdings müssen die Unternehmen auch die Hilfen in Anspruch nehmen. Der Bundestag hat am 28.01.2021 die weitere Aussetzung der Insolvenzantragspflicht bis zum 30.04.2021 beschlossen. Der Bundesrat wird voraussichtlich am 12.02.2021 zustimmen.
Die Bundesregierung hat verlautbart, dass Voraussetzung für die Aussetzung der Antragstellung grundsätzlich ist, dass die Hilfen bis zum 28.02.2021 beantragt werden und die erlangbare Hilfeleistung zur Beseitigung der Insolvenzreife geeignet ist. Auf die Antragstellung kommt es jedoch ausnahmsweise nicht an, wenn eine Beantragung der Hilfen aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen bis zum 28. Februar 2021 nicht möglich ist. In diesen Fällen soll auf die Antragsberechtigung abgestellt werden.
Der Gesetzgeber nimmt mit dieser Regelung die Geschäftsleitung der betroffenen Unternehmen aber wie in vielen anderen Fällen auch in die Verantwortung, denn der Geschäftsleiter muss für sich die Frage beantworten, ob „offensichtlich keine Aussicht auf Erlangung der Hilfeleistung besteht oder die erlangbare Hilfeleistung für die Beseitigung der Insolvenzreife unzureichend ist“.
Denn: “Wird eine juristische Person zahlungsunfähig oder überschuldet, haben die Mitglieder des Vertretungsorgans oder die Abwickler ohne schuldhaftes Zögern einen Eröffnungsantrag zu stellen. Der Antrag ist spätestens drei Wochen nach Eintritt der Zahlungsunfähigkeit und sechs Wochen nach Eintritt der Überschuldung zu stellen“ (§ 15a Abs. 1 S. 1 InsO). Schuldhaft kann auch handeln, wer die Aussichten auf Erlangung von staatlichen Hilfen zumindest fahrlässig falsch einschätzt. Die Regresse gegen Geschäftsleiter von Unternehmen, die die Krise nicht überstanden haben, und ihre Pflichten zur Antragstellung verletzt oder ihre Chancen auf Erlangung einer Hilfe falsch eingeschätzt haben, sind bereits jetzt absehbar.
Pflicht zur Krisenfrüherkennung
Wir haben in unserer letzten Ausgabe über die vorgesehene massive Verschärfung der Haftung für Geschäftsleiter aufgrund einer vollständig neuen gesetzlichen Pflicht zur „Krisenfrüherkennung und Krisenmanagement bei haftungsbeschränkten Unternehmensträgern“ berichtet. Die Verletzung dieser Pflicht hätte gravierende Folgen nach sich ziehen können, denn bereits im Stadium der drohenden Zahlungsunfähigkeit (§ 18 InsO) hätten die Geschäftsleiter und die Überwachungsorgane die Interessen der Gesamtheit der Gläubiger zu wahren gehabt. Bei einer schuldhaften Pflichtverletzung hätten sie dem Unternehmen für den entstandenen Schaden gehaftet, es sei denn, sie hätten die Pflichtverletzung nicht zu vertreten, so noch die ausdrückliche Regelung in §§ 1 - 3 SanInsFoG-RegE.
Diese Regelung wurde von mehreren Seiten scharf kritisiert, die – wie auch wir – darin eine enorme Verschärfung des Haftungsrisikos über einen Prognosezeitraum von 24 Monaten, der bei drohender Zahlungsunfähigkeit zugrunde zu legen ist (so jetzt § 18 Abs. 2 InsO), gesehen haben. Der Gesetzgeber hat die Regelung insoweit entschärft, als er die §§ 2 und 3 des SanInsFoG-RegE gestrichen hat, die ausdrücklich die Haftung der Geschäftsleiter bei drohender Zahlungsunfähigkeit vorsahen.
Der Gesetzgeber hat die Haftung damit zwar dem ersten Augenschein nach entschärft, geblieben ist jedoch die Pflicht zur Krisenfrüherkennung und zum Krisenmanagement:
„Die Mitglieder des zur Geschäftsführung berufenen Organs einer juristischen Person (Geschäftsleiter) wachen fortlaufend über Entwicklungen, welche den Fortbestand der juristischen Person gefährden können. Erkennen sie solche Entwicklungen, ergreifen sie geeignete Gegenmaßnahmen und erstatten den zur Überwachung der Geschäftsleitung berufenen Organen (Überwachungsorganen) unverzüglich Bericht. Berühren die zu ergreifenden Maßnahmen die Zuständigkeiten anderer Organe, wirken die Geschäftsleiter unverzüglich auf deren Befassung hin.“ (§ 1 StARUG)
Geschäftsleiter und Aufsichtsorgane sind damit in einer Pflicht – und wo eine Pflicht besteht, besteht auch die Möglichkeit des Verstoßes. Ob die Streichung der ausdrücklichen Haftungsbestimmungen als Folge einer Pflichtverletzung bei Aufrechterhaltung der Pflichten tatsächlich folgenlos bleibt, ist mehr als zweifelhaft. Die Pflicht zur Krisenfrüherkennung ergänzt u. E. die allgemeinen Regelungen zu den Handlungspflichten von Geschäftsleitern (insbesondere § 43 Abs. 1 GmbHG, § 93 Abs. 1 AktG). Damit bleibt abzuwarten, wie die Rechtsprechung diese Bestimmungen anwenden wird – womit Geschäftsleiter und Aufsichtsorgane weitere Rechtsunsicherheit haben.
Praxistipp:
Wie wir in bdp aktuell 175 bereits angeraten haben, sollten Geschäftsführungen umgehend ein geeignetes Frühwarnsystem samt entsprechender Dokumentation aufbauen, um sich gegen spätere Haftungsansprüche wehren zu können.
Änderungen im Miet- und Pachtrecht
In der COVID-19-Pandemie haben viele gewerbliche Mieter mit erheblichen Umsatzeinbußen zu kämpfen. Für die Mieter stellte sich die Frage, ob dieses unvorhergesehene Ereignis, das wie „höhere Gewalt“ wirkt, ihnen das Recht gegenüber dem Vermieter einräumt, die Miete zurückzubehalten, zu kürzen oder gar den Mietvertrag zu kündigen.
Der Gesetzgeber hat reagiert, indem er in Art. 240 Abs. 2 EGBGB (Einführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuche) eine „Beschränkung der Kündigung von Miet- und Pachtverhältnissen“ geregelt hat, allerdings nur zeitlich befristet. Danach kann ein „Vermieter … ein Mietverhältnis über Grundstücke oder über Räume nicht allein aus dem Grund kündigen, dass der Mieter im Zeitraum vom 01. April 2020 bis 30. Juni 2020 trotz Fälligkeit die Miete nicht leistet, sofern die Nichtleistung auf den Auswirkungen der COVID-19-Pandemie beruht. Der Zusammenhang zwischen COVID-19-Pandemie und Nichtleistung ist glaubhaft zu machen. Sonstige Kündigungsrechte bleiben unberührt.“
Die Pandemie ist über diese Regelung hinweggegangen, die Probleme und offenen Fragen sind geblieben. Über die Rechte der Mieter bzw. Vermieter aufgrund der Pandemie ist es bereits vereinzelt zu Rechtsstreitigkeiten gekommen. Da es eine Situation, in der die gesamte Wirtschaft überregional betroffen ist, in Deutschland bisher noch nicht gegeben hat, haben die Gerichte auch noch keine Linie in der Rechtsprechung gefunden und teils unterschiedlich geurteilt.
Hier einige Beispiele:
- LG Frankfurt am Main (Urteil v. 5.10.2020, Az. 2-15 O 23/20). Trotz staatlich angeordneter Schließung eines Geschäfts ist eine Minderung der Miete nicht zulässig. So entschieden auch die Landgerichte in Heidelberg (Urteil v. 30.7.2020, Az.: 5 O 66/20) und Zweibrücken (Urteil v. 11.9.2020, Az.: HK O 17/20), LG Stuttgart (Urteil v. 19.11.2020, 11 O 215/20), LG Wiesbaden (Urteil v. 5.10.2020, 9 O 852/20), LG Lüneburg (Urteil v. 17.11.2020, 5 O 158/20) und LG München II (Urteil v. 22.9.2020, 13 O 1657/20 und Urteil v. 6.10.2020, 13 O 2044/20).
- Das LG München I hingegen ist zu dem Ergebnis gekommen, dass die Schließung eines Geschäfts aufgrund einer Anordnung zur Bekämpfung von Covid-19 einen Mietmangel im Sinne des BGB darstellt (LG München I, Urteil v. 22.9.2020, Az. 3 O 4495/20 sowie Urteil v. 5.10.2020, Az. 34 O 6013/20). Zu einem ähnlichen Ergebnis ist das LG Mönchengladbach (Urteil v. 2.11.2020, Az. 12 O 154/20) gekommen, das einen Anspruch auf Vertragsanpassung wegen Störung der Geschäftsgrundlage sieht (aber keinen Mangel der Mietsache).
Der Gesetzgeber hat nun auf die beunruhigende Situation auf dem Mietmarkt reagiert und – etwas versteckt – im „Gesetz zur weiteren Verkürzung des Restschuldbefreiungsverfahrens und zur Anpassung pandemiebedingter Vorschriften im Gesellschafts-, Genossenschafts-, Vereins- und Stiftungsrecht sowie im Miet- und Pachtrecht“ vom 22.12.2020 dem Art. 240 EGBGB einen § 7 angefügt, der lautet:
„§ 7 Störung der Geschäftsgrundlage von Miet- und Pachtverträgen
(1) Sind vermietete Grundstücke oder vermietete Räume, die keine Wohnräume sind, infolge staatlicher Maßnahmen zur Bekämpfung der COVID-19-Pandemie für den Betrieb des Mieters nicht oder nur mit erheblicher Einschränkung verwendbar, so wird vermutet, dass sich insofern ein Umstand im Sinne des § 313 Absatz 1 des Bürgerlichen Gesetzbuchs, der zur Grundlage des Mietvertrags geworden ist, nach Vertragsschluss schwerwiegend verändert hat.
(2) Absatz 1 ist auf Pachtverträge entsprechend anzuwenden.“
Damit hat sich der Gesetzgeber einer Tendenz in der Rechtsprechung und auch Literatur angeschlossen, die Pandemie als einen Fall der „Störung der Geschäftsgrundlage“ anzusehen, die wiederum in § 313 BGB geregelt ist:
„Haben sich Umstände, die zur Grundlage des Vertrags geworden sind, nach Vertragsschluss schwerwiegend verändert und hätten die Parteien den Vertrag nicht oder mit anderem Inhalt geschlossen, wenn sie diese Veränderung vorausgesehen hätten, so kann Anpassung des Vertrags verlangt werden, soweit einem Teil unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls, insbesondere der vertraglichen oder gesetzlichen Risikoverteilung, das Festhalten am unveränderten Vertrag nicht zugemutet werden kann.“ (§ 313 Abs. 1 BGB)
Für die Praxis bedeutet dies, dass ein Vertrag in der Regel bestehen bleibt, die betroffene Partei jedoch einen Anspruch auf Anpassung des Vertrags hat. Das wäre im vorliegenden Fall die Miete. Fraglich bleibt jedoch, ob damit eine Mietminderung oder nur ein Stundungsrecht in Betracht kommt, also für die Dauer der Pandemie die Miete endgültig reduziert werden kann oder die Miete nur gestundet ist und nach Beendigung der Pandemie ein entstandener Rückstand zurückzuzahlen ist. Im Zweifel werden auch hierüber wieder die Gerichte zu entscheiden haben. Immerhin hat der Gesetzgeber erkannt, dass Vermieter und Mieter schnell Klarheit über ihre Rechte und Pflichten haben sollen und eine „Änderung des Gesetzes, betreffend die Einführung der Zivilprozessordnung“ in dem o. g. Gesetz beschlossen, indem ein „§ 44 Vorrang- und Beschleunigungsgebot“ eingefügt wird, wonach „(1) Verfahren über die Anpassung der Miete oder Pacht für Grundstücke oder Räume, die keine Wohnräume sind, wegen staatlicher Maßnahmen zur Bekämpfung der COVID-19-Pandemie vorrangig und beschleunigt zu behandeln“ sind; in Gerichtsverfahren „soll ein früher erster Termin spätestens einen Monat nach Zustellung der Klageschrift stattfinden.“ (§ 33 Abs. 1 und 2 EGZPO)
Dieses hehre Ziel der Verfahrensbeschleunigung wird durch die COVID-19-Pandemie jedoch wieder konterkariert. Gegenwärtig kommt es zu teils erheblichen Verzögerungen bei der Anberaumung von Terminen zur mündlichen Verhandlung, die Prozessordnungen lassen zwar unter bestimmten Voraussetzungen „Online-Verhandlungen“ zu, doch die Ausstattung der Gerichte und die Akzeptanz bei den Verfahrensbeteiligten lassen noch zu wünschen übrig. Ob die Verkürzung der Fristen durchsetzbar ist, bleibt fraglich; und wenn, dann zulasten anderer Verfahren.
In Deutschland bleibt es also bei Ringelnatz: „Sicher ist, dass nichts sicher ist. Selbst das nicht.“