Das neue Insolvenzrecht greift bereits bis zu zwei Jahre vor Eintritt einer drohenden Zahlungsunfähigkeit. Das ist so charmant wie bedrohlich!
Mit dem Gesetz zur Fortentwicklung des Sanierungs- und Insolvenzrechts (SanInsFoG) wird nach dem willen der Bundesregierung zum 01. Januar 2021 die größte Veränderung des deutschen Insolvenz- und Restrukturierungsrechts seit Inkrafttreten der Insolvenzordnung (InsO) im Jahr 1999 umgesetzt. Wir erläutern in dieser und der nächsten Ausgabe von bdp aktuell, was da auf uns zukommt und was nun zu tun ist.
Die Eile des Gesetzgebers speist sich aus zwei Quellen:
EU-Restrukturierungsrichtlinie muss bis Juli 2021 umgesetzt werden
Erstens: Bereits 2019, also vor Corona, hat die EU die sogenannte Restrukturierungsrichtlinie verabschiedet. Ziel ist insbesondere die Schaffung vorinsolvenzlicher Sanierungsverfahren und präventiver Restrukturierungsmaßnahmen. Die Richtlinie muss bis Juli 2021 umgesetzt werden.
Die EU-Restrukturierungsrichtlinie treibt eine insolvenzrechtliche Entwicklung weiter, die spätestens mit dem „Gesetz zur weiteren Erleichterung der Sanierung von Unternehmen“ (ESUG) 2011/12 auch in Deutschland einen Paradigmenwechsel eingeleitet hatte: Ein Insolvenzverfahren sollte fortan nicht mehr primär der Zerschlagung des Unternehmens zur bestmöglichen Befriedigung der Gläubiger dienen, sondern vor allem die Möglichkeit einer Sanierung erleichtern.
Drohende Insolvenzwelle soll abgemildert werden
Zweitens: Die Covid-19-Pandemie zwang den deutschen Gesetzgeber sowohl zu arbeitsmarktpolitischen und finanziellen Unterstützungs- und Nothilfemaßnahmen (erweiterte Kurzarbeit, Hilfspakete) als auch zu insolvenzrechtlichen Ad-hoc-Manövern wie der Aussetzung der Insolvenzantragspflicht.
Selbst wenn man die Kritik nicht so weit treiben möchte, dass die Bundesregierung damit Heerscharen eigentlich gescheiterter Zombieunternehmen künstlich am Leben erhalte, so ist doch plausibel: 2020 sind viele Unternehmen unter das Damoklesschwert einer drohenden Insolvenz geraten, wo sie bei kritischer Selbstprüfung feststellen müssen, dass die Wahrscheinlichkeit gering ist, dass sie die um die erhaltenen Notkredite aufgestockten Verbindlichkeiten längerfristig bedienen können. Und für genau solche Unternehmen schafft das SanInsFoG neue Optionen, bevor sie den Rubikon der Zahlungsunfähigkeit überschreiten.
Wir stehen an einer neuen Stufe der insolvenzrechtlichen Entwicklung
Auch wenn bereits mit der Insolvenzordnung 1999 die Option auf ein Insolvenzplanverfahren geschaffen wurde und bdp in den frühen Nullerjahren hierbei Pionierarbeit geleistet hat, so brachte doch erst das ESUG einen spürbaren Wandel weg von der Zerschlagung als Regelmaßnahme für insolvente Unternehmen. Mit dem Schutzschirmverfahren wurde seinerzeit der Spezialfall einer vorläufigen Eigenverwaltung für fortführungswürdige Unternehmen bei drohender Zahlungsunfähigkeit geschaffen (InsO § 270a, b und c). Voraussetzung für den Zugang zur Eigenverwaltung war gleichwohl der Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens.
SanInsFoG greift bereits bei drohender Zahlungsunfähigkeit. Das ist so charmant wie bedrohlich!
Mit dem SanInsFoG wird nun ein Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmen geschaffen, dessen Instrumente bereits – aber auch nur – bei drohender Zahlungsunfähigkeit in Anspruch genommen werden können, ohne einen Insolvenzantrag stellen zu müssen. Und diese Vorverlagerung hat sowohl charmante als auch bedrohliche Konsequenzen.
Charmant ist sicherlich, dass ein vorinsolvenzliches, aber rechtlich normiertes und gerichtlich begleitetes Verfahren mit einem Restrukturierungsplan die Grundlage für Eingriffe in die Forderungen und Rechte von Gläubigern und Anteilsinhabern auf der Grundlage einer Mehrheitsentscheidung der Beteiligten ermöglicht. Die Instrumente dieses neuen Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmens analysieren wir in der nächsten Ausgabe von bdp aktuell.
Bedrohlich zumindest für die verantwortlichen Geschäftsführungen ist, dass damit auch ihre erweiterte Haftung früher eintreten soll: Bereits im Stadium der drohenden Zahlungsunfähigkeit sollen Pflichten zum Schutz der Gläubiger begründet werden, wie sie bisher erst nach Eintritt der Insolvenzreife bestanden.
Bis zu 24 Monate sollen Geschäftsführungen prognostisch überblicken, damit sie bei einem späteren Eintritt drohender Zahlungsunfähigkeit die Interessen der Gesamtheit der Gläubiger wahren und Gegenmaßnahmen ergreifen können. Damit steigt das Risiko der Inanspruchnahme durch Gläubiger und insbesondere durch einen späteren Insolvenzverwalter enorm. Was dies für die Unternehmensplanung konkret zur Folge hat, schildern wir in einem gesonderten Beitrag.
Fortgesetzte Ad-hoc-Regelungen
Seit März 2020 bereits in Kraft ist das COVID-19-Insolvenzaussetzungsgesetz (COVInsAG). Es hatte bis zum 30. September 2020 die Insolvenzantragspflicht für Covid-19-geschädigte Unternehmen sowohl wegen Überschuldung als auch wegen Zahlungsunfähigkeit ausgesetzt. Diese Frist ist nun bis zum Jahresende verlängert worden, allerdings nur für überschuldete, nicht aber für zahlungsunfähige Unternehmen.
Ab 01. Januar 2020 soll dann das SanInsFoG den Insolvenztatbestand Überschuldung dahingehend neu regeln, als dass Überschuldung dann vorliegt, „wenn das Vermögen des Schuldners die bestehenden Verbindlichkeiten nicht mehr deckt, es sei denn, die Fortführung des Unternehmens in den nächsten zwölf Monaten ist nach den Umständen überwiegend wahrscheinlich.“ (§ 19 Abs. 2 Insolvenzordnung (InsO)
Ausnahmen für eigentlich gesunde Corona-Opfer
Für diese neu in die InsO aufgenommene Frist von 12 Monaten Fortführungswahrscheinlichkeit wird aber sogleich eine Ausnahme geschaffen, nämlich für Unternehmen, die vor Jahreswechsel 2019/20 gesund waren, d. h. zahlungsfähig und profitabel, und deren Umsatz in 2020 dann aber um mehr als 40 Prozent eingebrochen ist. Für diese Unternehmen wird die Frist für die Fortführungswahrscheinlichkeit auf vier Monate verkürzt.
Diese Unternehmen sollen in 2021 auch einen erleichterten Zugang zur Eigenverwaltung bekommen (§ 270d InsO): Ist dies sonst nur bei drohender Zahlungsunfähigkeit möglich, sollen den oben beschriebenen bis 2019 gesunden und erst 2020 in die Krise gekommenen Unternehmen auch bei eingetretener Zahlungsunfähigkeit die Eigenverwaltung erleichtert zugänglich gemacht werden.