Weiß ein Geschäftsführer nicht selbst, ob ein Insolvenzantrag fällig ist, muss er ein Gutachten einholen
Um einer Haftung nach § 64 Satz 1 GmbHG zu entgehen, muss ein GmbH-Geschäftsführer sich bei Anzeichen einer Krise der Gesellschaft unverzüglich unter umfassender Darstellung der Verhältnisse der Gesellschaft und unter Offenlegung der erforderlichen Unterlagen von einer unabhängigen, für die zu klärenden Fragestellungen fachlich qualifizierten Person beraten lassen. Er darf sich dabei aber nicht mit einer unverzüglichen Auftragserteilung begnügen, sondern muss auch auf eine unverzügliche Vorlage des Prüfergebnisses hinwirken. (BGH, 27. 03. 2012 – II ZR 171/10)
Die Erstellung eines validen Liquiditätsplans und eines Sanierungsgutachtens mit Fortführungsprognose ist für die Fortfinanzierung eines Unternehmens in der Krise u. a. zur Vermeidung von Anfechtungsrisiken der Banken unablässig. Es ist dabei im Ergebnis die Aussage notwendig, dass die Fortsetzung der Finanzierung der geplanten Sanierung nicht aussichtslos ist bzw. dass es ökonomisch vertretbar ist, bis zum vorzulegenden Umstrukturierungsplan die gewährte Finanzierung aufrechtzuerhalten und sogar ggf. eine Überbrückungsfinanzierung zu gewähren. Während dieses Zeitraums darf kein Insolvenzantragsgrund auftreten. Es darf schon gar nicht zu Beginn dieser Phase eine Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung bestehen, soweit sie nicht umgehend und vollständig beseitigt werden kann. Der Eintritt der Zahlungsunfähigkeit würde die weiteren Sanierungsversuche und die Fortsetzung der Finanzierung zum Erliegen bringen. Das Sanierungskonzept und seine Umsetzung muss dann als „ernsthafter Sanierungsversuch“ gewertet werden können (BGH, 04.12.1997 - IX ZR 47/97).
Aber auch nach der MaRisk, d. h. den Mindestanforderungen an das Risikomanagement (BTO 1.2.5 Tz. 3 MaRisk) haben Kreditinstitute bei der Begleitung einer Sanierung die Verpflichtung, sich von einem neutralen fachkompetenten Dritten, den der Bankkunde selbst auswählt und beauftragt, ein Sanierungskonzept oder wahlweise, wenn dieses schon vorhanden ist, ein Gutachten darüber vorlegen zu lassen.
Insolvenzverschleppung droht
Die Umsetzung des Sanierungskonzeptes sowie die Auswirkungen der Maßnahmen sind dann vom Kreditinstitut zu überwachen. Banken müssen durch die Vorlage eines Sanierungsgutachtens auch noch weiteren drohenden Gefahren vorbeugen. Sie müssen bei der Einräumung neuer Kredite insbesondere eine mögliche Insolvenzverschleppung beachten (BGH NJW 1994, 2220). Sie können nämlich selbst als Anstifter und Gehilfen haften (§ 823 Abs. 2 BGB), wenn sie durch interne Einwirkung auf die Geschäftsführer zur Insolvenzverschleppung beitragen, ohne selbst nach außen hin als Geschäftsführer aufzutreten.
Die Bank hat keine „Kreditversorgungspflicht“ gegenüber dem Kunden, auch eine Schadensersatzpflicht wegen Nichtbeteiligung an Sanierungskonzepten scheidet aus (vgl. BGH NJW 1992, 967; OLG München WM 1994, 1082). Insoweit wird sie zurückhaltend sein, weitere Mittel in der Krise auszureichen und auf der Vorlage eines Sanierungsgutachtens bestehen.
Die Rechtsprechung hat in verschiedenen Urteilen entschieden, dass der das Gutachten erstellende Berater fachlich geeignet sein muss. Er muss dabei nicht einer bestimmten Berufsgruppe angehören und somit nicht zwingend Wirtschaftsprüfer sein, der an die Einhaltung der berufsrechtlichen Regelwerke des IDW, konkret des IDW ES6 gebunden ist. Damit hat die Rechtsprechung auch festgelegt, dass nicht nur ein einziger Standard zur Gutachtenerstellung bzw. der Beratung in Form von IDW existiert. Es muss nur der Kern vernünftiger und zu beachtender Kriterien für ein Sanierungsgutachten eingehalten werden. Allerdings hat das OLG Köln letztlich doch wieder auf den dominierenden und von der Praxis allgemein anerkannten Standard des IDW S6 (aktuell wieder ES6) gelangt.
Haftungsrisiken in der Krise
Aber nicht nur zur Vermeidung von Anfechtungsrisiken bei der Fortsetzung der Finanzierung in der Krise ist es wichtig, ein derartiges Sanierungsgutachten zu erstellen. Genauso wichtig ist ein derartiges Gutachten auch zur Vermeidung von Haftungsrisiken der Organe der kriselnden Gesellschaft. Ist nämlich dieses Konzept nach Begutachtung und Plausibilisierung schlüssig, und ist man dabei es auch tatsächlich umzusetzen, so haben die Organe der betroffenen Gesellschaft, namentlich die Geschäftsführer der GmbH, durch etwaige Zahlungen zulasten der Gesellschaft an Dritte/Gläubiger nicht vorsätzlich einzelne Gläubiger zum Nachteil der anderen befriedigt. D. h. eine persönliche Haftung nach § 64 Satz 1 GmbHG greift dann nicht ein.
§ 64 Satz 1 GmbHG (§ 92 Abs. 2 Satz 1 AktG) regelt, dass der Geschäftsführer (Vorstand) persönlich (mit seinem ganzen Vermögen) für alle Zahlungen haftet, die nach Eintritt der Zahlungsunfähigkeit oder Feststellung der Überschuldung der GmbH (oder AG) geleistet werden. Eine persönliche Haftung nach § 64 Satz 2 GmbHG (§ 92 Abs. 2 Satz 2 AktG) greift nach dem Wortlaut des Gesetzes aber dann nicht ein, wenn die betreffenden Zahlungen „mit der Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsmanns vereinbar sind“. Das ist dann der Fall, wenn sich der Geschäftsführer wie beschrieben ausreichend beraten lässt.
Nicht jede Beratung ist ausreichend
Aber nicht jede Beratung oder Erstellung eines Gutachtens ist ausreichend. Dem unkundigen Geschäftsführer wird meist vorzuwerfen sein, er habe sich „nicht rechtzeitig fachkundig beraten lassen“. Für die Haftung des Geschäftsführers gemäß § 64 Satz 2 GmbHG ist Verschulden erforderlich, einfache Fahrlässigkeit damit auch ausreichend. Deren Maßstab wiederum ist (nach dem Gesetzeswortlaut) die Sorgfalt des ordentlichen Geschäftsmanns. Nach der ständigen Rechtsprechung des BGH werde vermutet, dass der Geschäftsführer, der während der Insolvenzreife der GmbH Zahlungen tätigt, schuldhaft handelt und nicht die gebotene Sorgfalt an den Tag gelegt hat.
Dieser Vermutung der Erkennbarkeit der Insolvenzreife kann der Geschäftsführer nur aus dem Weg gehen, wenn der Geschäftsführer einer GmbH sich stets über deren wirtschaftliche Lage unterrichtet hält und ihre Liquidität überwacht und ggf. einen Liquiditätsstatus erstellt. Hierzu müsse er sich die erforderliche Kenntnis verschaffen, um ggf. einen Insolvenzantrag stellen zu können. Fehle ihm die persönliche Kompetenz dafür, müsse er sich fachkundig beraten lassen. Erst wenn diese Beratung die Insolvenzreife verneine, sei der Geschäftsführer entschuldigt. Er müsse zudem das Beratungsergebnis einer Plausibilitätskontrolle unterziehen.
Sofern der Geschäftsführer einer GmbH nicht über ausreichende persönliche Kenntnisse verfügt, die er für die Prüfung benötigt, ob er einen Insolvenzantrag stellen muss, muss er sich bei Anzeichen einer Krise der Gesellschaft unverzüglich von einer unabhängigen, für die zu klärenden Fragestellungen fachlich qualifizierten Person beraten lassen. Tut er das nicht und löst er dennoch Zahlungen an Dritte aus, riskiert er eine persönliche Haftung.