Mit dem Unternehmensstabilisierungs- und -restrukturierungsgesetz (StaRUG) gibt es seit Jahresanfang einen gesetzlichen Rahmen, um Restrukturierungen früh einleiten zu können. Was ist daran neu?
bdp ist nun schon seit mehreren Jahrzehnten in Sachen Restrukturierung unterwegs und hat dabei bereits unzählige Unternehmen unter wechselnden rechtlichen Rahmenbedingungen durch schwieriges Fahrwasser gelotst. Das seit Jahresanfang geltende „Gesetz über den Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmen für Unternehmen“ (StaRUG) hat uns als erfahrene Restrukturierungsberater ein Déjà-vu beschert: Die Gestaltungsmöglichkeiten, die der im Zentrum des StaRUG stehende Restrukturierungsplan bietet, lehnen sich doch sehr stark an den altbekannten Insolvenzplan an. Was soll daran nun das Novum sein?
Der neue Restrukturierungsplan könnte coronageschädigten Unternehmen aus der Schuldenfalle helfen
Auffallend ist die extreme Eile, die der deutsche Gesetzgeber hatte, die EU-Restrukturierungsrichtlinie von 2019 in deutsches Recht umzusetzen. Statt den von der EU vorgegebenen Zeitrahmen bis Mitte 2021 auszunutzen, wurde das StaRUG Ende 2020 mit extrem kurzen Anhörungsfristen durch das Gesetzgebungsverfahren gepeitscht.
Offenbar sollte das Instrumentarium eines Restrukturierungsplans so schnell wie möglich zur Verfügung gestellt werden. Viele Unternehmen haben in der Coronakrise ihre Schulden außerordentlich gesteigert. Die große Zahl eigentlich gesunder Unternehmen, die durch die Pandemie unverschuldet in die Schuldenfalle geraten sind, sind jedenfalls die idealen Kandidaten für die Rückkehr in die Erfolgsspur mithilfe eines Restrukturierungsplans. Denn: In einen Restrukturierungsplan können bis auf wenige Ausnahmen (Löhne und Gehälter, Altersversorgung) praktisch alle Verbindlichkeiten eines Unternehmens einbezogen werden. Damit sind zumindest theoretisch alle Voraussetzungen geschaffen, um in großem Stil die öffentlichen Kredite der Corona-Hilfsmaßnahmen in einem geordneten Verfahren in Zuschüsse umzuwandeln.
Wie aber soll das funktionieren?
Die Verpflichtung zur Krisenfrüherkennung als Imperativ des StaRUG
Das StaRUG ist in vier Teile gegliedert. Dem mit 88 Paragrafen mit Abstand ausführlichsten Teil 2 zum neuen „Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmen“ widmen wir uns sogleich. Die Option auf eine dem gesamten Restrukturierungsprozess vorgelagerte „Sanierungsmoderation“, definiert in Teil 3 mit 7 Paragrafen, stellen wir in der nächsten Ausgabe von bdp aktuell vor.
Tonangebend für das ganze Gesetz ist die Ouvertüre durch Teil 1, der nur aus einem einzigen Paragrafen besteht und überschrieben ist mit „Krisenfrüherkennung und Krisenmanagement“. Den Schlussakkord bildet dann Teil 4, auch nur aus zwei Paragrafen bestehend, unter der Überschrift „Frühwarnsysteme“. Damit ist der Rahmen abgesteckt.
Die Verpflichtung zur Krisenfrüherkennung ist der Imperativ des ganzen Gesetzes: Der Gesetzgeber mahnt: Beobachten Sie Ihr Unternehmen genau! Ist Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung eingetreten und sind die Antragsfristen abgelaufen, dann müssen Sie handeln! Handeln Sie, sind Sie unter gewissen Umständen privilegiert. Handeln Sie nicht, trifft Sie die volle Härte des Gesetzes.
In § 1 StaRUG ist deshalb explizit eine Pflicht zur Krisenfrüherkennung und zum Krisenmanagement festgeschrieben. Im Regierungsentwurf war hierzu noch eine heftig kritisierte Regelung vorgesehen: So sollte die Geschäftsführung bereits bei drohender Zahlungsunfähigkeit die Gläubigerinteressen zu wahren haben und für Schäden haftbar sein, sofern diese Pflicht über einen Prognosezeitraum von zwei Jahren verletzt worden wäre.
Diese Festlegung des Prognosezeitraums wurde nun zwar im endgültigen Gesetz gestrichen, nicht aber die grundsätzliche Pflicht zur Krisenfrüherkennung und zum Krisenmanagement. Explizit heißt es in § 1 Abs. 3 StaRUG: „Weitergehende Pflichten, die sich aus anderen Gesetzen ergeben, bleiben unberührt.“ Für welchen Zeitraum Geschäftsführer in Zukunft im Rahmen dieser allgemeinen Handlungspflichten in Regress genommen werden, muss jetzt die Rechtsprechung zeigen.
Obligatorische Frühwarnsysteme und härtere Jahresabschlüsse
Das StaRUG endet damit, dass in § 102 bei der Aufstellung des Jahresabschlusses eine gesetzliche Hinweispflicht für die mandatierten Steuerberater, Wirtschaftsprüfer etc. verankert wird, „wenn entsprechende Anhaltspunkte offenkundig sind und sie annehmen müssen, dass dem Mandanten die mögliche Insolvenzreife nicht bewusst ist“.
Zur Frage, wie sich ein gesetzeskonformes Frühwarnsystem auch für kleinere Unternehmen implementieren lässt, verweisen wir auf bdp aktuell 175.
An dieser Stelle möchten wir allerdings betonen, dass die durch das StaRUG manifestierte Pflicht zur Krisenfrüherkennung nicht nur als lästig angesehen werden sollte. Den Kern eines Frühwarnsystems bildet eine integrierte und rollierende Planung inklusive von Plan-Ist-Vergleichen. Das ist immer auch ein hocheffizientes Controllinginstrument, das Ihnen zeitnah anzeigt, wie es um Ihr Unternehmen steht – und zwar unabhängig davon, ob dieses kriselt oder prosperiert.
Restrukturierungsplan nur bei drohender Zahlungsunfähigkeit möglich
Wer einen Restrukturierungsplan nutzen möchte, darf den richtigen Zeitpunkt nicht verpassen: Ist Zahlungsunfähigkeit eingetreten und sind die insolvenzrechtlichen Antragsfristen verstrichen, bleibt nur der Weg zum Insolvenzrichter. Das StaRUG regelt den vorinsolvenzlichen Raum. Es folgt dabei der goldenen Regel des Krisenmanagements, dass die Erfolgsaussichten umso größer sind, je früher eine Krise erkannt und je früher Gegenmaßnahmen ergriffen werden.
Im Gegensatz zum Insolvenzverfahren, das mit einem Antrag beim Insolvenzgericht beginnt, kann ein Restrukturierungsplan (theoretisch) auch komplett ohne Gericht umgesetzt werden.
Grundsätzlich soll das Verfahren wie folgt laufen: Das Krisenunternehmen stellt unter Einhaltung der gesetzlichen Anforderungen (§§ 5 - 16) einen Restrukturierungsplan auf, der inhaltlich sehr flexibel gestaltet werden kann. Möglich ist das ganze Spektrum von Forderungsverzichten, Stundungen, Neuformulierung der Vertragsbedingungen, Debt-to-Equity-Swaps, Kapitalerhöhungen oder auch Kapitalschnitte.
Dann erfolgt das sogenannte „Planangebot“ an die Gläubiger und Planbetroffene (bspw. Gesellschafter) und die Auslegung, Erörterung und Abstimmung entsprechend der gesetzlichen Vorgaben (§ 17 ff.). Zur Annahme ist in allen beteiligten Gruppen eine Mehrheit von 75 % nötig, wobei die Stimmenanteile entsprechend der Forderungen bzw. Anteile und nicht nach Köpfen bemessen werden.
Eskalationsmöglichkeit durch sukzessive unterstützende Einbindung des Restrukturierungsgerichts
Als Praktiker prognostizieren wir ganz klar: Weil die Gläubiger ihren jeweiligen Shareholdern verpflichtet sind, ist es nicht sehr wahrscheinlich, dass sie allein auf das Planangebot des Schuldners hin, und sei es auch noch so gut durchgerechnet und präsentiert, freiwillig auf Teile ihrer Forderungen verzichten. Allerdings bietet das StaRUG hierzu dem schuldnerischen Unternehmen nun charmante Eskalationsoptionen: Es ermöglicht sukzessiv die unterstützende Einbindung des Restrukturierungsgerichts.
Die gerichtliche Unterstützung beginnt mit der einfachen Option, nicht als Unternehmen selbst die Moderation des Abstimmungsverfahrens über den Restrukturierungsplan zu übernehmen, sondern diesen „in einem gerichtlichen Verfahren zur Abstimmung (zu) stellen“ (§ 23). Die gerichtliche Unterstützung reicht in der maximalen Ausprägung bis hin zur gerichtlichen Bestätigung des Restrukturierungsplans. Damit kann dann schließlich der Plan auch gegenüber ablehnenden Gläubigern durchgesetzt werden.
Ein vollständig außergerichtlicher Restrukturierungsplan ist unrealistisch
Die kompletten „Stabilisierungs- und Restrukturierungsinstrumente“ des StaRUG nutzt, wer sein Restrukturierungsvorhaben bei Gericht anzeigt (§ 31). Es ist kein Antrag nötig. Im Gegensatz zum Insolvenzverfahren bestimmt das Unternehmens selbst den Ablauf und behält, ähnlich wie beim Sonderfall der Insolvenz in Eigenverwaltung, die Verfügungsgewalt.
Voraussetzung ist allerdings die Restrukturierungsfähigkeit des Schuldners. Das bedeutet, dass er insolvenzfähig und als natürliche Person unternehmerisch tätig sein muss (§ 30).
Die Instrumente des gerichtlichen Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmens
Das StaRUG sieht vier gerichtliche Instrumente vor, die einzeln oder auch in Kombination genutzt werden können:
- Gerichtliche Planabstimmung
- Gerichtliche Vorprüfung
- Stabilisierung
- Gerichtliche Planbestätigung
Bei der gerichtlichen Planabstimmung (§§ 45 + 46 übernimmt das Restrukturierungsgericht die Moderation des Abstimmungsverfahrens über den Restrukturierungsplan.
Mit der gerichtlichen Vorprüfung (§§ 47 + 48) des Restrukturierungsplans können bereits zu Verfahrensbeginn formale und inhaltliche Streitfragen rechtsverbindlich geklärt werden.
Die Planabstimmung und die gerichtliche Vorprüfung können auch in einem ansonsten komplett außergerichtlich durchgeführten Restrukturierungsverfahren genutzt werden. Die nachfolgend erläuterten Instrumente der Stabilisierung und der Planbestätigung sind jedoch ausschließlich dem gerichtlichen Restrukturierungsplan vorbehalten.
Die Stabilisierung (§§ 49 – 59) umfasst eine gerichtliche Anordnung von Regelungen, die Maßnahmen der individuellen Rechtsdurchsetzung einschränken. Zu nennen sind für eine gerichtliche Stabilisierungsmaßnahme insbesondere die Vollstreckungssperre von Zwangsmaßnahmen gegenüber dem Schuldner und die Verwertungssperre seines beweglichen Vermögens sowie die Aussetzung von Insolvenzanträgen, die von Gläubigern gestellt wurden.
Die gerichtliche Bestätigung eines Restrukturierungsplans (Planbestätigung, §§ 60 – 66) ist schließlich das Instrument, mit dessen Hilfe durch Gerichtsbeschluss der Restrukturierungsplan auch gegenüber bislang ablehnenden Gläubigern und Planbetroffenen wirksam wird.
Pflichten des Schuldners und mögliche Aufhebung der Restrukturierungssache
Mit der Anzeige des Restrukturierungsvorhabens beim Gericht wird die Restrukturierungssache rechtshängig. (§ 31 (3)) Weil der Stabilisierungs- und restrukturierungsrahmen die nachhaltige Beseitigung einer drohenden Zahlungsunfähigkeit im Sinne des § 18 Absatz 2 der Insolvenzordnung zum Ziel hat (§ 29 (1)), dürfen dessen oben aufgezählte Instrumente nur solange genutzt werden, wie dieses Ziel erreichbar ist. Wenn Insolvenzantragsgründe vorliegen, also tatsächliche Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung eingetreten sind und ein Insolvenzantrag gestellt werden muss oder gestellt wurde, ist die Restrukturierungssache vom Gericht von Amts wegen wieder aufzuheben.
Als Ausnahme ist nur vorgesehen, dass die Restrukturierungssache so weit fortgeschritten ist, dass deren Abschluss im Interesse der Gläubiger liegt (§ 33). Der Schuldner ist deshalb während der Restrukturierung verpflichtet, dem Gericht alle wesentlichen Änderungen insbesondere zur Zahlungsfähigkeit und Überschuldung sowie zu den Umsetzungschancen des Planes mitzuteilen (§ 32).
Der Restrukturierungsbeauftragte als Mittler
Als Kommunikationsmedium zwischen Schuldner, Gläubigern und Gericht und Aufsichtsorgan über den Verhandlungsprozess und das Restrukturierungsverfahren kann das Restrukturierungsgericht einen sogenannten Restrukturierungsbeauftragten einsetzen (§§ 73 ff.). Obwohl also das StaRUG einen Restrukturierungsbeauftragten nicht als obligatorisch vorschreibt, wird es in der Praxis wohl nicht ohne gehen.
Das zeigen schon die Fälle an, in denen ein Restrukturierungsbeauftragter bestellt werden muss: Wenn in Rechte von Verbrauchern und kleinen bis mittleren Unternehmen eingegriffen wird und wenn, grob gesprochen, der Restrukturierungsplan auf Schuldnerseite keine einhellige Zustimmung findet, also eine Stabilisierungsanordnung oder Planbestätigung durch das Gericht nötig wird (§ 73).
Der Schuldner hat bei der Auswahl des Restrukturierungsbeauftragten eine starke Position (§ 74(2)). Weil aber der Restrukturierungsbeauftragte hoheitliche Aufgaben übernimmt, agiert er nicht parteilich an der Seite des Schuldners. Er steht unter Aufsicht des Gerichts, ist jederzeit berichtspflichtig und muss unparteiisch die Gesamtheit der Gläubigerinteressen wahren. Dazu gehört insbesondere, dem Gericht den Eintritt von Insolvenzantragsgründen mitzuteilen (§ 75). Das Gericht kann ihm sehr weitgehende Aufgaben übertragen, die an die Funktion des Sachwalters bei der Insolvenz in Eigenverwaltung erinnern.
Fazit: Verlässliche Zahlen, Flexibilität und gute Kommunikation als Erfolgsfaktoren
Das StaRUG bietet einen gesetzlich normierten Rahmen des vorinsolvenzlichen Raums. Es sollen die Rettung und Restrukturierung von Unternehmen früh ermöglicht werden, ohne dass dabei ein Insolvenzverfahren eingeleitet werden muss. Das ist grundsätzlich zu begrüßen. Inwieweit dabei aber der Makel, den eine Insolvenz nach wie vor mit sich bringt, vermieden werden kann, ist zweifelhaft. Auskunfteien und Warenkreditversicherern werden auch Restrukturierungspläne nicht verborgen bleiben.
Ohne verlässliche Zahlen ist alles nichts! Wie gesagt: Für die Instrumente des StaRUG darf die Zahlungsunfähigkeit nur drohen, aber noch nicht eingetreten sein. Und auch wenn im Gesetz nicht mehr explizit von zwei Jahren die Rede ist, ist doch offensichtlich, dass der Gesetzgeber will, dass Unternehmen ihre Zahlungsfähigkeit sehr weit in die Zukunft überblicken sollen. Das geht nur mit einem professionellen Krisenmanagement und funktionierendem Frühwarnsystem. Wir beraten Sie hierzu gerne.
Wird die drohende Zahlungsunfähigkeit dann festgestellt und soll ein Restrukturierungsplan die Rettung bringen, reicht Rhetorik gegenüber den Gläubigern allein nicht aus. Die Perspektive auf eine dauerhafte Beseitigung der drohenden Zahlungsunfähigkeit kann umso plausibler vermittelt werden, je verlässlicher das zugrundeliegende Zahlenwerk ist und je schneller es zur Verfügung steht.
Ein rein außergerichtlicher Restrukturierungsplan wird in der Praxis voraussichtlich nicht einstimmig genehmigt werden. Die gerichtliche Bestätigung des Restrukturierungsplans, über den außergerichtlich abgestimmt wurde, ist möglich und bei Zweifeln z. B. über Verfahrensfragen sinnvoll. Auch die gerichtliche Vorprüfung des (außergerichtlichen) Restrukturierungsplans schafft eventuell einen Vertrauensvorschuss.
Und dann wird es darauf ankommen, eine Art „hybride Restrukturierung“ durchzuführen. Gemeint ist, zusammen mit einem erfahrenen Restrukturierungsberater die gerichtlichen und außergerichtlichen Instrumente des StaRUG wechselseitig und flexibel für eine sowohl kommunikative als auch institutionelle Überzeugungsarbeit zu nutzen.