Das Nichtzustandekommen des Rahmenabkommens zwischen Schweiz und EU wird voraussichtlich mit Nachteilen für die Schweiz verbunden sein. Wir beginnen eine Serie zum Verhältnis der Schweiz zur EU
Im Mai 2021 hat die Schweiz die Verhandlungen mit der EU über den Abschluss eines institutionellen Rahmenabkommens abgebrochen. Begründet wurde dieser Schritt mit „substanziellen Differenzen“ in zentralen Punkten des Abkommens, über das seit 2008 verhandelt wurde. Das Abkommen sollte vor allem den Zugang der Schweiz zum europäischen Binnenmarkt regeln und weitere Vereinbarungen über verschiedene Themen der wechselseitigen Beziehungen wie Strommarkt und Gesundheitsversorgung vorbereiten.
In dieser Ausgabe von bdp aktuell fragen wir, welche Auswirkungen das Nichtzustandekommen des Rahmenabkommens haben wird. Wir beginnen damit eine kleine Serie über verschieden Aspekte des wechselseitigen Verhältnisses zwischen EU und Schweiz.
Die Schweiz und die Europäische Union arbeiten seit Gründung der Europäischen Union eng zusammen. Dies natürlich aufgrund der geografischen Lage der Schweiz, aber auch aufgrund einer Verbundenheit im wirtschaftlichen, politischen, kulturellen und sprachlichen Bereich. Über all die Jahre hat ein regelmäßiger Austausch stattgefunden, von dem beide Parteien sowie der ganze europäische Raum profitiert haben. Mit dem Abbruch der Verhandlungen zum EU-Rahmenabkommen am 26. Mai 2021 wird diese Beziehung nun auf die Probe gestellt.
Vor über 50 Jahren wurde das Freihandelsabkommen zwischen der EU und der Schweiz abgeschlossen, gefolgt von den bilateralen Verträgen I und II gut 30 Jahre später. Bis zum heutigen Tag umfassen diese Verträge rund 20 zentrale bilaterale sowie über 100 weitere Abkommen. Im Jahr 2002 entstand die Idee, all diese Abkommen unter dem Dach eines Rahmenabkommens zu bündeln. Die Verhandlungen dazu wurden im Jahr 2008 aufgenommen.
Obwohl über die Jahre viele Fortschritte erzielt wurden, scheiterte nun dieses Rahmenabkommen durch den Entscheid des Schweizerischen Bundesrates, die Verhandlungen definitiv abzubrechen. In einem offiziellen Schreiben an die Europäische Kommission in Brüssel erklärt der Bundesrat seinen Entscheid und drückt gleichzeitig den Wunsch aus, die Zusammenarbeit mit der Europäischen Union anderweitig in Zukunft zu stärken.
Die Ziele des Rahmenabkommens
Das Rahmenabkommen hätte das Verhältnis der Schweiz zur Europäischen Union in grundsätzlicher Weise verändert. Im Bereich der Marktzugangsabkommen wäre die dynamische Rechtsübernahme eingeführt worden. Außerdem hätte das Abkommen die Schaffung eines Streitschlichtungsverfahrens mittels eines Schiedsgerichts vorgesehen. Der Europäische Gerichtshof wäre immer dann einbezogen worden, wenn die Auslegung von EU-Recht betroffen gewesen wäre. Trotz intensiver und engagierter Gespräche konnten die Parteien offenbar keine Lösung für die letzten drei offenen Punkte finden. Diese beinhalteten die Personenfreizügigkeit, den Lohnschutz sowie die Unionsbürgerrichtlinie.
Insbesondere der Übernahme eines Streitschlichtungsverfahrens unter Einbezug von EU-Richtern und der Unionsbürgerrichtlinie stand die schweizerische Bevölkerung sehr negativ gegenüber. Die Unionsbürgerrichtlinie hätte dazu geführt, dass EU-Bürger, die in der Schweiz aufenthaltsberechtigt sind, gewisse Privilegien bekommen hätten, welche die Schweiz ihnen nicht zugestehen wollte (z. B. Anspruch auf Sozialhilfe nach kurzer Arbeitstätigkeit).
Warum das Abkommen gescheitert ist
Für die Klärung der offenen Fragen in den verbliebenen Problembereichen mangelte es dem Schweizerischen Bundesrat somit an innenpolitischem Rückhalt, und der fehlende Verhandlungsspielraum verhinderte eine abschließende Einigung über den Rahmenvertrag mit der Europäischen Union. Für den Schweizerischen Bundesrat waren damit die Voraussetzungen nicht gegeben, das Rahmenabkommen zu unterzeichnen, und es musste folgerichtig entschieden werden die Verhandlungen abzubrechen.
Das Nichtzustandekommen des Rahmenabkommens wird voraussichtlich mit Nachteilen für die Schweiz verbunden sein. Die Europäische Union hat beispielsweise immer wieder erklärt, dass sie ohne institutionelles Abkommen keine neuen Marktzugangsabkommen abschließen will. Seit 2008 sind entsprechend keine neuen Marktzugangsabkommen mehr abgeschlossen worden. Blockiert sind aktuell insbesondere die geplanten Abkommen in den Bereichen Strom- und Lebensmittelsicherheit sowie Holzhandel.
Blockierte Weiterentwicklung
Im Dezember 2018 hat die EU-Kommission außerdem erklärt, dass sie auch nicht mehr bereit sei, bestehende Marktzugangsabkommen zu aktualisieren, außer sie hat selbst ein überwiegendes Eigeninteresse daran. So ist insbesondere die anstehende Aktualisierung des Medizinproduktekapitels im Abkommen über die gegenseitige Anerkennung von Konformitätsbewertungen (MRA) blockiert. Die Medtech-Branche rechnet insgesamt mit Mehrkosten von initial 115 Mio. CHF und jährlich wiederkehrenden Kosten von 70 Mio. CHF, um die „Drittstaat-Anforderungen“ der EU zu erfüllen. Dies führt zu Wettbewerbsnachteilen und einem Verlust an Standortattraktivität. Ebenfalls blockiert ist die Aktualisierung mehrerer Anhänge des Landwirtschaftsabkommens, was mittelfristig zu technischen Handelshemmnissen führen dürfte.
Schließlich macht die Europäische Union rein politische Verknüpfungen zwischen dem Rahmenabkommen und weiteren Dossiers, insbesondere zu den Verhandlungen im Bereich öffentliche Gesundheit, zur Börsenäquivalenz sowie zur Schweizer Beteiligung an den EU-Rahmenprogrammen im Bereich Forschung, Bildung und Kultur.
Die unmittelbarste Auswirkung eines Nichtabschlusses des Rahmenabkommens ist die Unsicherheit über die künftigen Bedingungen einer Schweizer Teilnahme am EU-Binnenmarkt und einer Zusammenarbeit zwischen der Schweiz und der EU in wichtigen Kooperationsbereichen. Der Binnenmarktzugang kann sich durch den Wegfall der Möglichkeit des Abschlusses neuer Marktzugangsabkommen nicht mehr weiterentwickeln bzw. wird sich mangels Aufdatierung der bestehenden Abkommen verschlechtern. Im schlimmsten Fall droht das Verhältnis der Schweiz zur Europäischen Union mittel- und langfristig auf eine Freihandelsbeziehung zurückzufallen. Angesichts des sich weiterentwickelnden Binnenmarktrechts besteht mithin das Risiko, dass die Konkurrenzfähigkeit und die Wettbewerbsvorteile von Schweizer Akteuren auf dem EU-Binnenmarkt abnehmen – sowohl gegenüber den Konkurrenten in der EU als auch gegenüber Anbietern aus Drittstaaten, mit denen die EU neue Abkommen abschließt.
Geschmälerte Standortattraktivität
Verbunden mit der Rechtsunsicherheit hinsichtlich der Beziehungen zur wirtschaftlich bedeutendsten Partnerin der Schweiz dürfte dies die Standortattraktivität der Schweiz schmälern und die Investitionstätigkeit in der Schweiz bremsen. Eine Verschlechterung der Beziehungen zur Europäischen Union kann indes nicht das Ziel der Schweiz sein. Die EU ist die mit Abstand wichtigste Handelspartnerin der Schweiz und stellt den größten Absatzmarkt für die exportorientierte Schweizer Industrie dar. Der Bundesrat hat dem Europäischen Zentralrat deshalb versichert, dass die enge Zusammenarbeit weitergeführt werden soll. Im Schreiben vom 26. Mai 2021 versicherte der Bundesrat, dass die Schweiz auch ohne das Abkommen eine zuverlässige und engagierte Partnerin der Europäischen Union bleibt.
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