Wie deutsche Unternehmen mit E-Mobility und alternativen Antrieben weiterhin Absatzmärkte sichern und notwendige Änderungen im Produktportfolio umsetzen können (Teil 1).
A. Ausgangslage
I. Changeprozess in der Industrie
Die deutsche Industrie, speziell Automotive-Werkzeugmaschinen und andere Kernindustriezweige, stehen vor dem vielleicht gewaltigsten Changeprozess der jüngeren Industriegeschichte überhaupt: Der Wechsel in der Automotive-Industrie vom reinen Verbrennungsmotor als alleinigem Antrieb hin zu einem voraussichtlich bunten Strauß von Antrieben konventioneller Art, reinen E-Cars oder auch in Zukunft denkbaren Wasserstoffantrieben. Viele Industriebetriebe müssen sich auf diesen Changeprozess radikal einstellen, weil, wenn auch nicht das gesamte Produktspektrum, so jedoch große Teile davon in der Zukunft entweder wegfallen oder stark gewandelt werden müssen. Für wegfallende Produkte und Dienstleistungen müssen neue Business-Modelle gefunden werden, damit die Unternehmen auch weiterhin existieren können. Nicht jedes Unternehmen wird überleben, aber die deutsche Industrie hat durch ihre Innovation und den immer noch vorhandenen Technologievorsprung, den die aktuelle lautstarke öffentliche Diskussion stark gefährdet, immer noch gute Chancen, diesen Wandlungsprozess zu meistern.
Und es gibt Hoffnung: So bescheinigt die jüngst veröffentlichte Studie E-Mobility Index 2019 von Roland Berger und fka GmbH (November 2019) der deutschen Industrie eine Technologieführerschaft im Bereich E-Mobility und Batterypower. Die deutschen Unternehmen müssen es nur schaffen, diese Technologieführerschaft in aktives Business umzusetzen. Die Situation 2019 und Anfang 2020 ist vielfach durch operative Probleme gezeichnet wie teilweise stark rückläufige Stückzahlabrufe, das Bemühen, die wirtschaftliche Balance in den Unternehmen zu halten, Verhandlungen zwischen Auftraggebern und Auftragnehmern, um Kompensationszahlungen wegen zu niedriger Abrufe etc. Bei der Bewältigung dieser drängenden Tagesprobleme droht manchmal der Strategieblick für den notwendigen Changeprozess in den Hintergrund zu geraten.
Das wäre jedoch fatal, leitet dieses „Feuerlöschen“ doch eine gewisse Abwärtsspirale ein, die immer schwerer zu durchbrechen ist. Das Gebot der Stunde ist demnach, den Blick nach vorne zu richten und klare Strategien für das Unternehmen zu entwickeln, wie weiterhin Absatzmärkte gesichert und notwendige Änderungen im Produktportfolio umgesetzt werden können.
Mittelfristig betrachtet und mit einem Rückblick auf die letzten 40 Jahre der deutschen Industriegeschichte gibt Deutschland hier durchaus Anlass optimistisch zu bleiben: die deutsche Industrie hat sich stets im Wandel behaupten können und ist immer noch in vielen Bereichen führend.
II. Die Situation in China
War China schon in den vergangenen 10 bis 15 Jahren ein nicht mehr wegzudenkender Markt sowohl für die deutsche Automobilindustrie als auch für Zulieferer, die vor Ort Werke und Niederlassungen gegründet haben und teils für deutsche OEMs (Automobilhersteller) als auch für chinesische OEMs in China tätig waren, so stellt sich heute der Bereich E-Mobility als eindeutig größter Markt und größter Produzent in China dar. Nirgendwo auf der Welt werden so viel E-Cars gefahren, Schätzungen gehen von über 1,2 Millionen Fahrzeuge in 2017 aus, was einem Anteil von 40 Prozent der E-Mobility-Weltflotte entspricht. Siehe hierzu die Studie der German Asia-Pacific Business Association, Januar 2020.
Dies war möglich durch massive Subventionen bis 2019 sowohl für Forschung und Entwicklung sowie Produktion, als auch für den Kauf von E-Cars. Von der Technologie her hat Deutschland nach wie vor den Vorsprung; was liegt nun näher auch für deutsche Unternehmen, hier eine Symbiose mit dem weltgrößten Markt, den größten Produzenten und der deutschen Technologie einzugehen? Dies könnte auch in Deutschland Arbeitsplätze für Jahrzehnte sichern.
Wenngleich die generelle starke Subventionierung in China Ende 2019 für E-Cars beendet wurde, gibt es immer noch viele Cluster und Regionen, in denen Industriebetriebe mit dieser Technologie willkommen sind und auf Subventionen und Unterstützung der Lokalregierungen hoffen können. Und hierbei ist nicht nur die reine E-Mobility und Hybridindustrie gemeint, sondern auch China scheint erkannt zu haben, dass es in Zukunft einen Mix von verschiedenen Antrieben, konventionell, E-Mobility mit und ohne Hybrid und anderen alternativen Antrieben wie zum Beispiel Wasserstoff, geben wird.
Und hierzu zählen natürlich nicht nur reine Automobilzuliefererteile, sondern auch Infrastruktur und deren Ausbau, denn ohne diesen wird die E-Mobility nicht weiterwachsen können. China hat die offizielle Direktive ausgegeben, dass in kürzester Zeit für jeweils acht E-Cars eine Dockingstation vorhanden sein soll – ein gigantisches Projekt!
Und: Chinas Industrie besteht nicht nur aus großen und größten Betrieben, sondern auch aus vielen mittelständischen und kleinen Unternehmen. Diese sind hungrig nach Technologie und weiteren technischen Möglichkeiten, ihre Produktion effizient auf diesen Zukunftsmarkt auszurichten. Will sagen: hier wird auf zum Beispiel deutsche Unternehmen gewartet, die gemeinsam bereit sind, die Technologie und Produktion voranzutreiben. Eine Chance für die deutsche Industrie auf jeden Fall, nur muss der Schritt natürlich sorgfältig bedacht, geplant und letztendlich auch finanzierbar sein sowie von der Organisation des Unternehmens gestemmt werden können.
B. Voraussetzungen für deutsche Unternehmen für den Weg nach China
I. Grundsatzüberlegungen
Wie unsere Beratungspraxis zeigt, muss ein deutsches Unternehmen für den Weg nach China einen gewissen „langen Atem“ haben. Das schnelle Geld ist in China nicht (mehr) zu verdienen, es bedarf ausreichender personeller, organisatorischer und letztendlich auch finanzieller Ressourcen, um diesen Schritt in einen wirtschaftlichen Erfolg umzumünzen.
Der noch vor 10 oder 15 Jahren übliche und häufig mit großem Erfolg verfolgte Weg, einfach Produkte nach China zu exportieren, existiert in dieser Form kaum noch. Wichtig für den wirtschaftlichen Erfolg in China ist ein Verständnis der Chinesen, ein Verständnis für die Handlungsweise in China, den Markt dort und die Bereitschaft in das soziale „Netz“ einzutauchen und dort gemeinsam mit den Chinesen einen wirtschaftlichen Erfolg zu erzielen. Dieser Wandel ist eklatant und nicht mehr umkehrbar und muss von den deutschen Unternehmen, die in China oder mit China Erfolg haben wollen, verinnerlicht und verstanden werden. Anderenfalls droht ein Scheitern. Erfolg in China heutzutage hat nur der, der bereit ist, ein langfristiges Engagement nachhaltig durchzuführen und dabei die chinesischen Besonderheiten zu verstehen und zu lernen, mit diesen umzugehen.
II. Personelle Ressourcen
Bevor ein deutsches Unternehmen den Schritt nach China antritt, ist intern zu klären, wer diesen verantwortlich managen soll. „So nebenbei nach China“ wird nicht funktionieren! Es müssen Personen, möglichst bilingual (mindestens Deutsch und Englisch, ideal auch Chinesisch) abgestellt werden, die sich hauptsächlich um das China-Projekt kümmern können. Das hört sich logisch an, ist aber in der Umsetzung im kleineren und mittleren Unternehmensbereich eine echte personelle Herausforderung. Denn diese Person wird sich über Jahre hinaus um fast nichts anderes mehr als die Entwicklung des China-Projektes kümmern können. Die Person muss die Brücke sein zwischen dem deutschen Mutterunternehmen und der chinesischen Tochter oder dem chinesischen Joint Venture. Sie muss weltoffen, vor allem offen für eine der deutschen Kultur völlig fremden Kultur sein, auf Menschen zugehen, Chancen entdecken, Risiken (und Schwindel) erkennen und zielgerichtet Maßnahmen auch wirklich umsetzen können. Ein hohes Anforderungsprofil. Aus der jahrelangen Betreuung deutscher Tochterunternehmen in China können wir feststellen, dass dies eins der wesentlichen Erfolgsfaktoren in China ist. Unternehmen, die nicht in der Lage oder nicht bereit waren, auch in Deutschland eine entsprechende Co-Pilot-Stelle zu schaffen, hatten meist keinen Erfolg in China.
Aber damit allein ist es nicht getan: Das Unternehmen muss darauf getrimmt werden, in zwei (oder mehr) Ländern tätig zu sein, angefangen von den Managementstrukturen, der Administration und dem Finanz- und Rechnungswesen. Ohne die Bereitschaft des Einkaufs und des Vertriebs, mit den chinesischen Kollegen eng zusammenzuarbeiten und diese auch eng in Entscheidungen einzubinden, geht es nicht.
Ein ganz wichtiger Erfolgsfaktor ist auch, die Bereitschaft zu permanenter enger Kommunikation: wir empfehlen regelmäßige Videokonferenzen und Besuche vor Ort. Die chinesische Niederlassung darf nicht als ein „ausländischer Satellit“ geführt werden, sondern muss wie eine Abteilung im Unternehmen eng angebunden werden – und das geht auch heute nur durch Kommunikation.
III. Organisatorische Voraussetzungen
Für den Schritt nach China muss das Unternehmen seine Organisation hierauf ausrichten. Das betrifft zum einen den sogenannten „Frame“, also den Rahmen, dass das Unternehmen international aufgestellt tätig sein wird. Hierzu gehören – ganz wichtig – zum einen zunächst die Sprache. Formulare, Vertragswerke, E-Mail-Verkehr muss so umgestellt werden, dass auch die Kollegen in China sie verstehen, also zumindest Deutsch und Englisch. Die Kommunikation muss in allen Fachbereichen zwischen Deutschland und China funktionieren: Überall dort muss die Zweisprachigkeit umgesetzt werden. Regeltermine der Fachbereiche untereinander, wir empfehlen als Videokonferenz, müssen organisiert werden. Daneben müssen Produkte und Produktionsverfahren so aufgestellt sein, dass sie möglichst in beiden Ländern Gültigkeit haben, wobei natürlich die lokalen Besonderheiten zu beachten sind.
Die Einhaltung konzerninterner Verfahrensweisen muss nachgehalten werden; zu glauben, dass es schon von alleine läuft, ist ein Irrglaube! Klare Strukturen und Verantwortlichkeiten in allen Fachbereichen sind sicherzustellen. Das Rechnungswesen ist auf die Internationalität anzupassen. Hierzu gehört ein nahezu einheitlicher Kontenrahmen genauso wie das regelmäßige Abstimmen von Verrechnungskonten, aber auch das Mapping der Konten zwischen den unterschiedlichen Buchungssystemen des China GAAP und des deutschen HGB oder IFRS.
Die Erfahrung zeigt, dass dies ohne erfahrene externe Beratung meist nicht funktioniert.
IV. Finanzen
Die finanziellen Bedarfe müssen sorgfältig geplant werden, hierzu gehört zum einen das reine Investitionsvolumen in China, aber genauso die zu erwartenden Anlaufverluste. Eine sorgfältige Business-Planung für China muss erstellt werden.
Es muss geplant werden, inwieweit nach den gesetzlichen Anforderungen in China die in China notwendige Eigenkapitalrelation zum gesamten sogenannten „Total Investment“ aufgebracht werden muss und woher die Finanzierung hierfür kommt.
Am Anfang kann nicht davon ausgegangen werden, dass chinesische lokale Banken den Investitionsbedarf decken, es muss also der wesentliche Teil der Erstinvestition und der Anlaufverluste aus Deutschland finanziert werden. Hier zeigt die Erfahrung, dass Gespräche mit deutschen Banken für Investments in China durchaus als anspruchsvoll zu bezeichnen sind. Es muss zum Beispiel überlegt werden, ob eine bankenunabhängige Finanzierung, bspw. durch die Auflage von Corporate Bonds (Unternehmensanleihen), erfolgen kann. Das Geld wird dann teilweise als Stammkapital (mindestens in der in China geregelten Eigenkapitalrelation) und als Fremdkapital (Shareholder Loan) gegeben.
Diese Überlegungen und die Gespräche mit potenziellen Finanzpartnern müssen unbedingt vor dem konkreten Schritt nach China geführt werden, um später nicht in eine akute Finanzklemme zu geraten.
C. Ausblick
In der kommenden Ausgabe erläutern wir konkrete Umsetzungsschritte wie das Markt- und Locationresearch, die Überlegungen zur Gesellschaftsform und das Gründungsprozedere und beantworten die Frage, welche Erfolgsfaktoren in China relevant sind.