In Hamburg und Berlin diskutieren Experten aus der Restrukturierungspraxis Licht und Schatten des ESUG
Auf dem Fachforum Restrukturierung in Hamburg und dem Berliner Restrukturierungsforum erörterten Ende November Experten aus allen an Sanierungen und Insolvenzverfahren beteiligten Berufsgruppen die praktischen Erfahrungen mit dem „Gesetz zur weiteren Erleichterung der Sanierung von Unternehmen“ (ESUG), das zum März 2012 eingeführt wurde.
Das Hamburger Fachforum Restrukturierung ist eine Veranstaltungsreihe der bdp Venturis Management Consultants GmbH. Das Berliner Restrukturierungsforum, das nach dem erfolgreichen Auftakt im Juni 2012 zum zweiten Mal stattfand, hat sich schnell als praxisorientiertes Forum zur gemeinsamen Diskussion und zum Austausch von aktuellen Ideen und Projekten für die Berliner Restrukturierungsszene etabliert. Es wird von bdp zusammen mit hww wienberg wilhelm und Görg Rechtsanwälte veranstaltet. Wir dokumentieren hier die Thesen der beiden Impulsreferate, die bdp-Gründungspartner Dr. Michael Bormann vortrug, sowie die Kernaussagen der Diskussionen in Hamburg und Berlin.
In Hamburg diskutierten Licht und Schatten des ESUG der Berater Burkhard Jung (Partner hww wienberg wilhelm), der Banker Detlev Will (Abteilungsleiter Commerzbank) sowie der Rechtsanwalt und Insolvenzverwalter Christian Graf Brockdorff (Partner BBL Bernsau Brockdorff). Die Moderation besorgte Barbara Klein, Hamburger Teamleiterin der bdp Venturis.
Das Berliner Podium bildeten der Insolvenzrichter Martin Horstkotte (Amtsgericht Charlottenburg), der Rechtsanwalt und Verwalter Klaus Siemon (Partner Anwaltskanzlei Siemon) sowie Christian Graf Brockdorff. Die Diskussionsleitung übernahm Rüdiger Wienberg (Partner hww wienberg wilhelm), die Begrüßung Dr. Kirsten Schümann-Kleber (Partnerin Görg Rechtsanwälte).
Generelle Einschätzung des ESUG
Christian Graf Brockdorff: „Man sollte nicht so tun, als ob mit dem ESUG das Rad neu erfunden worden wäre. Wir haben auch davor mit Insolvenzplänen und übertragenden Sanierungen die Situation ganz gut bewältigt. Aber das ESUG wird die Insolvenzkultur, vielleicht die Sanierungskultur verändern. Schuldner und Berater warten nicht mehr bis zuletzt und prüfen vorab die neuen Werkzeuge. Auch wenn ESUG-Verfahren die Ausnahme bleiben: Für die wirtschaftlich bedeutenden Verfahren hat ESUG die Welt bereits verändert und wird sie weiter verändern.“
Klaus Siemon: „Der Gesetzgeber hat recht, wenn er die Sanierungssituation in Deutschland verbessern will. Es ist auch richtig, die Fachkompetenz des Schuldners in das Verfahren einzubinden. Aber das ESUG ist teilweise konturlos und hat diese Anforderungen nur ungenügend umgesetzt. Es begünstigt individuelle Interessen stark und macht das Eigenverwaltungsverfahren zum Regelverfahren. Dadurch werden die Sanierungstechniken leiden, weil unerfahrene Personen am Ruder bleiben. Wenn Managementfehler in der Mehrzahl der Fälle die Ursache für Insolvenzen sind, dann ist das unlogisch. Die übertragende Sanierung wird zurückgedrängt werden, weil bei der Eigenverwaltung niemand da ist, der die Notwendigkeit sehen wird, einen Investor zu suchen.“
Martin Horstkotte: „Es ist erschreckend, dass die Masse der Eigenanträge von Unternehmen nach InsO § 13 fehlerhaft sind. Am Amtsgericht Charlottenburg waren von März bis Juli 91 % aller Anträge unzulässig. Bei etwa 77 % fehlte das Gläubigerverzeichnis. 88 % wurden ohne die Versicherung der Richtigkeit eingereicht. Die Unzulässigkeitsrate wurde im Lauf der Zeit nicht besser. Wir haben große Schwierigkeiten, funktionierende Gläubigerausschüsse mit einer halbwegs repräsentativen Besetzung einzusetzen. Dabei ist die Wahrung der Repräsentativität die Kernnorm schlechthin: Hier liegt in Zukunft die Kontrollaufgabe der Gerichte.“
Detlev Will: „Die Banken, die ja am ehesten wissen, wann ein Unternehmen in eine Insolvenz gerät, initiieren Restrukturierungen, bevor überhaupt ein Insolvenzantragsgrund vorliegt. Es ist aber zur Zeit noch fraglich, ob das ESUG uns bei Sanierungen hilft. Eine bessere Planbarkeit, insbesondere, was die Bestimmung des Verwalters betrifft, scheint mir noch nicht wirklich gegeben. Wir sind hier noch in einer Testphase.“
Burkhard Jung: „Die Entwicklung wird sich nicht mehr in die Zeit vor ESUG zurückdrehen lassen. Natürlich ist es denkbar, dass man sich mit fingierten Bescheinigungen ein Schutzschirmverfahren oder eine Eigenverwaltung erschleichen kann. Aber Missbrauch gab es auch schon vorher. Das ESUG hat eine größere Transparenz gebracht, weil die Interessenkonflikte nun offen ausgetragen werden müssen und die Verwalter mehr von den Gläubigern abhängig geworden sind. Dazu müssen aber die Gläubiger ihre Interessen auch wahrnehmen.“
Die Verwalterauswahl
Horstkotte: „Wer einen vernünftig vorbereiteten Eigenantrag stellen will, sollte darauf achten, einen begründeten Personalvorschlag für die Besetzung eines vorläufigen Gläubigerausschusses einschl. Bereitschaftserklärung der Vorgeschlagenen und deren (informellen) Personalvorschlag für den Insolvenz- oder Sachwalter zu unterbreiten. Das ermöglicht dem Gericht, relativ schnell vorläufige Maßnahmen ergreifen zu können, ohne die formelle Konstituierung des vorläufigen Gläubigerausschusses abwarten zu müssen.“
Siemon: „Der unabhängige Insolvenzverwalter ist am ehesten in der Lage, die divergierenden Interessen während eines Insolvenzverfahrens auszugleichen. Es ist aber noch nicht abschließend ausdiskutiert, was der Insolvenzverwalter darf und was nicht.“
Will: „Jetzt fragen plötzlich Insolvenzverwalter nach Terminen. Und viele behaupten auch, dass sie nun Sanierung können. In jedem Fall stimmen sich die Banken bei der Auswahl des Verwalters ab. Aber dabei gibt es keine Monopole. Es wird immer gefragt, wer am besten geeignet ist. Ich kann nur jemanden vorschlagen, den ich kenne, und plädiere immer dafür, mit wechselnden Partnern zu kooperieren. Das gilt auch für die Berater.“
Graf Brockdorff: „Die Anforderungsprofile an die Verwalter werden sich ändern. Die Schuldner kommen früher und mit veränderten Aufgabenstellungen. Sie wünschen Unterstützung bei der Sanierung, bei der Vorbereitung eines Antrags oder bei der Erstellung eines Insolvenzplans. Das Verfahren zur Verwalterauswahl ändert sich. Aber auch früher haben andere neben dem Richter bei der Auswahl mitgeredet.“
Die Rolle der Berater
Siemon: „Der Gesetzgeber will ein gläubigerautonomes Verfahren. Aber praktisch können viele Gläubigerausschüsse dem beratergesteuerten Schuldner nicht das Wasser reichen. Die Gläubigerausschüsse werden nur in einer Minderheit der Fälle den eigenverwaltenden Schuldner kontrollieren können. Wenn aber ein Verfahren beratergesteuert ist, ist es nicht mehr gläubigergesteuert.“
Jung: „Der VID hat unheilvolle Allianzen zwischen Beratern und Insolvenzverwaltern in den Raum gestellt. Und wir beobachten auch solche Paare Verwalter/Berater bzw. Banken/Verwalter am Markt. Ich bin aber überzeugt, dass diese nicht sehr lange unterwegs sein werden, denn das lassen sich die Gerichte auf Dauer nicht bieten.“
Horstkotte: „Die Insolvenzordnung ist ja nicht neu, weshalb es bei den Wünschen der Schuldner nach einem bestimmten Verwalter keine prinzipiellen Unterschiede vor und nach ESUG gibt. Allerdings müssen die Schuldner nun § 22a InsO (vorläufiger Gläubigerausschuss) und § 56a InsO (Gläubigerbeteiligung) berücksichtigen, also das, was neu ist. Damit artikulieren die Schuldner aber nicht mehr nur ihre eigenen Wünsche, sondern kommunizieren auch die Wünsche der Gläubiger. Die Frage, wie oft das gekungelt ist, Stichwort: ‚Family-and-Friends-Ausschüsse‘, kann ich angesichts des kurzen Beobachtungszeitraums noch nicht beantworten. Evident war das Problem bei uns aber noch nicht.“
Die Gläubigerausschüsse
Graf Brockdorff: „Wenn die Gerichte ihre Aufgabe ernst nehmen, dann bekommen wir auch repräsentative Ausschüsse. Die Unterlagen dazu bekommen die Gerichte ja im Antrag.“
Horstkotte: „Gläubiger profitieren von einem erfolgreichen Verfahren und leiden unter einem erfolglosen. Ich bezweifle, dass ordnungsgemäß, d. h. heterogen zusammengesetzte Gläubigerausschüsse schlechtere Ratgeber sind als das Gericht.
Das Gericht muss zukünftig - abgesehen von seiner Eignung, §§ 27 Abs. 2 Nr. 5, 56a Abs. 2 InsO - nicht so sehr den Verwalter selbst beurteilen, als vielmehr die Heterogenität des Gläubigerausschusses überprüfen. Anknüpfen kann man dabei an die qualifizierte Liste der Forderungen und Gläubiger gem. § 13 Abs. 1 S. 4 InsO. Wenn die Heterogenität gewährleistet ist und sich der Ausschuss auf eine Person als Verwalter einigen kann: Warum sollte da dann das Gericht schlauer sein?“
Will: „Bei den Banken waren wir schon kurz davor, eine Stellenbeschreibung „Gläubigerausschussmitglied“ einzuführen. Im Ernst: Auch die angehobenen Schwellenwerte berücksichtigen nicht die Struktur der Privatbanken. Wir unterscheiden zwischen dem eher standardisierten Retailbereich mit den kleineren Forderungen und dem individualisierten Ansatz, den man ab einer gewissen Größenordnung verfolgt. Bei größeren Engagements sind wir gerne im Gläubigerausschuss. Aber ich glaube nicht, dass wir das bei den kleineren Verfahren leisten können.“
Fazit: Missbrauch oder erweiterte Sanierungsmöglichkeiten?
Graf Brockdorff: „Als Verwalter kann ich meine Unabhängigkeit nicht nur damit beweisen, dass ich Anfechtungen durch alle Instanzen klage, sondern auch dadurch, dass ich einen sachgerechten Vergleich herbeiführe. Auch wenn Kritiker des ESUG Kungeleien befürchten, wäre eine Rolle rückwärts des Gesetzgebers völlig unangebracht. Wenn die Aufsichtsorgane ihre Aufgabe ernst nehmen, werden Missbräuche, die es früher auch schon gab, die Ausnahme bleiben.“
Siemon: „Die Unabhängigkeit des Verwalters ist ein hohes Gut, das unbedingt gewahrt werden muss. Das gilt auch für die Verquickung von Gläubigern mit Verwaltern. Auf Anfechtungsansprüche auf Druck einer Bank zu verzichten, ist mit Sicherheit nicht der richtige Weg.“
Horstkotte: „Warum wird nach Kontrollinstanzen gerufen, die die InsO seit Jahr und Tag bietet, zum Beispiel § 70 ‚Entlassung von Gläubigerausschussmitgliedern’ oder § 78 ‚Beschlussaufhebung’? Missbrauch ist kein ESUG-Problem.“
Will: „Das ESUG wird bei Sanierungen nicht im Zentrum stehen. Denn dazu müssten sich die Köpfe ändern. Aber nach wie vor wird Insolvenz als Versagen des Unternehmers begriffen.“
Rüdiger Wienberg: „Das ESUG erweitert unsere Toolbox. Und wenn nur 10 % der Geschäftsführer dadurch motiviert werden, früher Beratung zu suchen und früher einen Antrag zu stellen, dann freuen wir Verwalter uns allemal, weil wir dann Verfügungsmasse haben.“
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