Der berufsständische Standard „Grundsätze zur Durchführung von Unternehmensbewertungen“ (IDW S 1)
In der vergangenen Ausgabe von bdp aktuell informierten wir Sie über die theoretischen Grundzüge der Unternehmensbewertung und sind insbesondere auf die Erstellung einer fundierten Unternehmensplanung eingegangen. Diese Ausgabe wird sich mit dem von Wirtschaftsprüfern und Wirtschaftsprüfungsgesellschaften regelmäßig anzuwendenden Standard zur Durchführung von Unternehmensbewertungen (IDW S 1) befassen, den das Institut der Wirtschaftsprüfer (IDW) vorgelegt hat.
Im Zentrum steht dabei die theoretische und praktische Ermittlung des Zinssatzes („Kapitalisierungszinssatz“), mit dem die künftigen Mittelzuflüsse abzuzinsen sind. Wie im ersten Teil unserer Serie dargestellt, ist dieser Zinssatz einer der wesentlichen wertbestimmenden Faktoren.
IDW S 1 weist derzeit einen Stand vom 02. April 2008 auf und wurde in der Vergangenheit mehrfach geändert. Die Änderungen erfolgten zum Teil aufgrund von Weiterentwicklungen in der theoretischen Basis der Unternehmensbewertungen aber auch aufgrund von (Steuer-)Gesetzesänderungen. Der IDW S 1 bildet einen Rahmen, wie Wirtschaftsprüfer bei der Durchführung von Unternehmensbewertungen vorgehen sollen. In Einzelfällen und bei abweichender Beauftragung kann von den Vorgaben des Standards jedoch abgewichen werden.
Vor Durchführung einer Unternehmensbewertung ist klarzustellen, in welcher Funktion der Bewerter (Wirtschaftsprüfer) auftritt. Es liegt nahe, dass eine parteiorientierte Bewertung, z. B. im Rahmen einer Argumentationsfunktion bei Kaufpreisverhandlungen, zu anderen Werten kommen mag als eine neutralere Position, z. B. im Rahmen von Schiedsgutachten. Der Standard behandelt beide Positionen. Es wird jedoch klargestellt, dass in der Praxis häufiger eine Beauftragung in letzterer Funktion erfolgen dürfte, und hierbei das Ziel einen „objektivierten Unternehmenswert“ zu ermitteln formuliert wird. Im Gegensatz hierzu wird der „subjektive Entscheidungswert“ genannt.
Es sind dabei zwei unterschiedliche Bewertungsverfahren vorgegeben, anhand derer der Wert des Unternehmens für den Anteilseigner ermittelt werden kann:
- Ertragswertverfahren
- Discounted-Cash-Flow-Verfahren (kurz: „DCF-Methode“)
Erfreulich ist dabei: Richtig angewendet müssen beide Verfahren zum selben Ergebnis führen. In der Praxis werden sich regelmäßig Unterschiede ergeben, die in einzelnen vereinfachenden Annahmen begründet liegen.
In beiden Verfahren müssen die künftigen Erfolgsbeiträge auf den Bewertungsstichtag abgezinst (diskontiert) werden. Die Ermittlung des zu verwendenden Kapitalisierungszinssatzes erfolgt im Rahmen des hier betrachteten Ertragswertverfahrens als ein wesentlicher Teil des Bewertungsverfahrens. Im Rahmen des DCF-Verfahrens ist der Kapitalisierungszinssatz dagegen eher ein Nebenprodukt. DCF-Verfahren ermitteln den Wert des Unternehmens durch Abzinsung von erwarteten Cash-Flows (d. h. Auszahlungen) an die Kapitalgeber (Fremd- sowie Eigenkapital).
Ermittlung des Kapitalisierungszinssatzes
Im Rahmen der Ermittlung des Kapitalisierungszinssatzes wird deutlich, was gemeint ist mit der Aussage:
„Bewerten heißt vergleichen!“
Der Anteilseigner steht in der Theorie vor der Frage:
„Soll ich mein Geld in das zu bewertende Unternehmen geben oder in eine vergleichbare Alternativanlage?“
Die Alternativanlage soll dabei hinsichtlich Fristigkeit, Risiko und Besteuerung vergleichbar sein. Hier werden unter den Aspekten der Fristigkeit und grundsätzlich ähnlichem Risikoumfeld Anlagen in Unternehmensanteilen am Kapitalmarkt als Vergleich herangezogen, d. h., es werden Renditen von Aktienportfolios betrachtet.
Die beobachteten Renditen lassen werden hierbei in einen Basiszinssatz und einen Risikozuschlag für die Übernahme des unternehmerischen Risikos („Risikoprämie“) zerlegt:
Kapitalisierungszins = Basiszins + Risikoprämie
Der Anleger verlangt also von der Alternativanlage in Unternehmensanteile eine zusätzliche Rendite, um das höhere Risiko vergütet zu bekommen.
Der (risikolose) Basiszinssatz wird dabei anhand beobachtbarer Renditen langfristiger öffentlicher Anleihen im Rahmen der Aufstellung sogenannter Zinsstrukturkurven ermittelt.
Die Risikoprämien werden anhand von Modellen („CAPM“, „Tax-CAPM“) aus am Kapitalmarkt tatsächlich beobachteter Aktienrenditen bestimmt. Diese empirischen Werte, die je nach Studie zwischen 4 % und 6 % liegen, zeigen aber noch nicht die Risikoprämie für das zu bewertende Unternehmen auf, sondern es wurde lediglich die vom Markt geforderte zusätzliche Verzinsung im Vergleich zu einer (risikolosen) Anlage in langfristige öffentliche Anleihen ermittelt („Marktrisikoprämie“).
Das zu bewertende Unternehmen hat aber im Allgemeinen eine vom Gesamt(kapital)markt abweichende Risikostruktur. Als Gründe hierfür sind beispielhaft zu nennen:
- Branchenaussichten und –besonderheiten
- Abhängigkeiten von Personen, und Inhabern
- Kundenabhängigkeiten
- Besonderheiten in der Finanzierungsstruktur (zu hohes bzw. zu geringes Eigenkapital)
Die Anpassung der Marktrisikoprämie an die unternehmensindividuelle Risikoprämie erfolgt durch die Anwendung eines unternehmensindividuellen Faktors (sog. Beta-Faktor) auf die Marktrisikoprämie.
Kapitalisierungszins = Basiszins + unternehmensindividuelles Beta * Marktrisikoprämie
Beta-Faktoren werden ermittelt, indem die Kursentwicklung von ähnlichen Unternehmen (meist vergleichbar im Hinblick auf Branche) über einen gewissen Zeitraum mit den Kursentwicklungen des Marktes (dargestellt anhand von Indizes, z. B. DAX, Eurostoxx oder SDAX) verglichen werden.
Der Bestimmung der vergleichbaren Unternehmen („Peer-Group“), die am Kapitalmarkt notiert sein müssen, kommt eine erhebliche Bedeutung zu. Will man nicht auf kostenpflichtige Dienste von Finanzdienstleistungsunternehmen zurückgreifen, ist eine intensive Diskussion mit der Unternehmensleitung oder anderen sachverständigen Personen erforderlich, um entsprechende branchennahe Marktteilnehmer zu identifizieren.
Nach der Auswahl der Vergleichs-Unternehmen, deren Anzahl zwischen drei und fünf liegen sollte, sind die Beta-Faktoren dieser Unternehmen zu ermitteln bzw. aus verfügbaren Marktdaten zu generieren.
Durch die Auswahl der Vergleichs-Unternehmen und der für diese Unternehmen beobachtbaren Beta-Faktoren ist ein im Vergleich zum allgemeinen Marktrisiko abweichendes Branchenrisiko berücksichtigt worden. In einem weiteren Schritt sind darüber hinaus etwaige Unterschiede in der Steuer- sowie Verschuldungsquote zwischen der Peer Group und dem zu bewertenden Unternehmen zu eliminieren durch Umrechnung der ermittelten Beta-Faktoren in einen unternehmensindividuellen Beta-Faktor.
Nun lässt sich der Kapitalisierungszins nach obiger Formel ermitteln. Angewendet auf die in der Unternehmensplanung ausgewiesenen finanziellen Überschüsse künftiger Jahre ergibt sich somit der rechnerische Unternehmenswert.
Der Standard weist an verschiedenen Stellen darauf hin, dass es neben dem Ertragswert- und DCF-Verfahren auch branchenspezifische sowie vereinfachte Wertfindungsverfahren gibt. Im Rahmen von Unternehmenswertermittlungen nach IDW S 1 dienen diese Verfahren neben beobachteten Börsenkursen und tatsächlich gezahlten Kaufpreisen - in unmittelbarer zeitlicher Nähe zum Bewertungsstichtag - als Plausibilisierungsgrundlage für das zuvor ermittelte Ergebnis der Unternehmensbewertung.
Im dritten und letzten Teil unserer Serie zur Unternehmensbewertung werden wir diese weiteren Wertfindungsverfahren vorstellen und deren jeweilige Vor- und Nachteile analysieren.