2004 war Dr. Jens-Christian Posselt zum ersten Mal in Qingdao. Hier schildert er die Entwicklung der chinesischen Hafenstadt, die ehemals als deutsche Kolonie Kiautschou zum Deutschen Reich gehörte.
Im kommenden August vor 20 Jahren habe ich das erste Mal chinesischen Boden betreten. Meine erste Reise führte mich nach Qingdao, an das ich nur vage Erinnerungen aus dem Geschichtsunterricht (dazu gleich) hatte. Ich hatte mich auf dieses Abenteuer eingelassen, weil ein Mandant und heute guter Freund häufig von dieser Stadt schwärmte und meinte, gute geschäftliche Kontakte für mich vorbereitet zu haben. Das war nicht gelogen, denn die Menschen, die ich dann erstmals getroffen habe, sind heute nach wie vor enge Freunde und Kollegen.
Die Angst vor dem unbekannten China wich schnell der Begeisterung für das Land, das sich im Jahre 2004 noch im Aufbruch und Aufschwung befand. Gerade Qingdao zwingt einen aber auch dazu, sich mit der neueren Geschichte dieser Stadt und damit Chinas auseinanderzusetzen, denn es begegnet einem nicht nur ein besonderes Wohlwollen den Deutschen gegenüber, sondern auch die Überreste der deutschen Kolonialzeit in Form von Gebäuden und Anlagen. Wie ist es dazu gekommen?
Überreste der deutschen Kolonialzeit
China war im 19. Jahrhundert Spielplatz und Spielball kolonialer Mächte Englands, Frankreichs, Russlands und der USA. Erst nach der Gründung des Deutschen Reichs 1871 entwickelte sich in Deutschland ein expansiver Nationalismus, den der Staatssekretär des Auswärtigen Amtes Bernhard von Bülow (1849 – 1929) in einer Reichstagsdebatte am 06. Dezember 1897 im Zusammenhang mit der deutschen Kolonialpolitik zum Ausdruck brachte: „Mit einem Worte: Wir wollen niemand in den Schatten stellen, aber wir verlangen auch unseren Platz an der Sonne.“
Die deutschen Kolonien wuchsen bis 1914 zum an Fläche drittgrößten Kolonialreich nach dem britischen und französischen und umfassten u. a. Teile der heutigen Staaten Volksrepublik China, mehrerer afrikanischer Staaten, Papua-Neuguinea und mehrere Inseln im Westpazifik und Mikronesien.
Warum Qingdao?
Geografische Erkundungen hatten ergeben, dass es in der Provinz Shandong, in der Qingdao – damals noch Tsintau und später Tsingtau - Kohle gab, mit der man Kriegsschiffe befeuern konnte und die in der Bucht von Kiautschou eis- und taifunfrei liegen konnten, ungestört von konkurrierenden Kolonialmächten. Anlass für die Landnahme war die Ermordung von Missionaren in Shandong im Jahre 1897, die am 14.11.1897 zu einer (kampflosen) Besetzung des kleinen Fischerdorfes Tsintau führte. Schnell begannen die Deutschen mit der Errichtung von einem Bahnhof, von Bahnstrecken, Hafen, Kasernen, Schulen und Wohngebäuden, die in teilweise sehr gutem Zustand heute noch zu sehen sind.
Die Besetzung Chinas durch die Kolonialmächte nahm die chinesische Bevölkerung nicht widerstandslos hin. Im Jahre 1900 formierte sich der Widerstand in Geheimbünden, die zum sogenannten Boxeraufstand führten, bei dem ausländische Einrichtungen angegriffen und Ausländer auch ermordet wurden. Kaiser Wilhelm II. ließ Truppen entsenden und hielt dazu am 27.07.1900 in Wilhelmshaven die viel zitierte Hunnenrede: „Wer Euch in die Hände fällt, sei euch verfallen – wie vor tausend Jahren die Hunnen unter König Etzel sich praktisch damit einen Namen gemacht haben.“
Deutsche Truppen griffen in die Kämpfe ein und unterstützten unter anderem massiv die in Bedrängnis geratenen britischen Truppen; der Boxer-Aufstand wurde schließlich niedergeschlagen. „Hunnen“ als Bezeichnung für Deutsche und „gelbe Gefahr“ als Bezeichnung für China stammen aus dieser Zeit und haben sowohl das Bild der Deutschen als auch der Chinesen mit geprägt.
Schnelle Entwicklung
Während der deutschen Besetzung entwickelte sich die Stadt sehr schnell und wuchs von ca. 70.000 Einwohnern im Jahre 1898 auf ca. 190.000 im Jahre 1914. Die Entwicklung nahm mit Beginn des 1. Weltkriegs ein jähes Ende: Am 05. September 1914 landeten Japaner vor Qingdao und belagerten die Stadt, die am 07. November 1914 kapitulierte. Die Verwaltung des „Pachtgebietes“ wurde von einem japanischen Militärgouverneur wahrgenommen. Im Versailler Vertrag musste Deutschland alle Rechte an der Kolonie entschädigungslos an Japan abtreten, anstatt das Gebiet an China zurückzugeben. Der Widerstand Chinas gegen den Versailler Vertrag führte zum „Aufstand vom 04. Mai 1919“ und wurde zum Symbol für den Kampf um Chinas Unabhängigkeit und Selbstständigkeit: Das Wahrzeichen der Stadt auf dem „4th May Square“ in Qingdao. Japan verließ Qingdao kurz nach dem Ende des 2. Weltkriegs (Oktober 1945).
Ansiedlung deutscher Unternehmen
Nachdem sich die Volksrepublik China geöffnet hatte, haben sich schnell deutsche Unternehmen in Qingdao angesiedelt. So geht das mittlerweile zur Weltmarke gewachsene Unternehmen Haier auf eine deutsch-chinesische Kooperation mit dem Unternehmen Liebherr-Hausgeräte aus den 1980-er-Jahren zurück. Und natürlich nicht zu vergessen das berühmte Bier, das nach wie vor nach deutschem Reinheitsgebot gebraut wird und seine Wurzeln in der Kolonialzeit hat. Heute sind es Unternehmen wie Bayer, Stihl, Metro, Airbus und viele deutsche und ausländische Unternehmen, die sich in Qingdao angesiedelt haben.
Seit 2004 ist auch bdp in Qingdao tätig, seit 2016 mit eigenem Büro, und betreut dort etliche Tochtergesellschaften europäischer Mandanten. Dies ist kein Wunder, denn Qingdao liegt logistisch günstig innerhalb Chinas und im Verhältnis zu Nachbarstaaten wie Korea und Japan und hat einen der größten Containerhäfen weltweit sowie einen viel frequentierten Flughafen. Deutschland ist Qingdaos wichtigster Handelspartner in Europa und der größte Investor vor Ort.
Ich selbst habe mich innerhalb der Stadt gewissermaßen mit entwickelt – als Berater der örtlichen Handelskammer (CCPIT), des Sino-German Ecopark, Mitglied einer Expertenkommission der Stadt Qingdao zur Stadtentwicklung und als beim Qingdao Arbitration Court akkreditierter Schiedsrichter. Die Entwicklung der Stadt und auch des eigenen Engagements wurde jäh durch die Corona-Pandemie unterbrochen. Erst Anfang 2023 öffneten sich die Türen wieder, und ich habe die Gelegenheit genutzt die Stadt und meine Freunde wieder zu besuchen, die zum Glück alle wohlauf sind.
Die politische Entwicklung hat jedoch auch vor Qingdao nicht Halt gemacht: Die Stadt Kiel, die ebenso wie Qingdao Austragungsort olympischer Segelwettbewerbe war, pflegte über lange Jahre enge Beziehungen zur Stadt Qingdao. Immer wieder kam die Diskussion auf, ob beide Städte nicht eine Städtepartnerschaft eingehen sollten. Im vergangenen Jahr sollte es dann so weit sein: Qingdao fragte offiziell bei der Stadt Kiel an, ob man nun diesen „Bund fürs Leben“ eingehen wolle. Die anfängliche Zustimmung wich einer zunehmend kritischen Haltung, begleitet von einer negativen Presse und sogenannten Expertenmeinungen. Am Ende erinnerte das alles wieder an die „gelbe Gefahr“, die heraufbeschworen wurde und schließlich zum Scheitern der Gespräche führte.
Fazit
So bleibt nur zu hoffen, dass die geopolitische Lage und die wirtschaftlichen Probleme sich nicht noch weiter verschärfen und es mir und vielen anderen weiterhin möglich sein wird, diese deutscheste aller chinesischen Städte besuchen und ins Herz schließen zu können.
Fotos © Historische Postkarte: gemeinfrei, Gouverneursresidenz: Nyx Ning, CC BY-SA 3.0, Platz des 4. Mai + Olympisches Segel-Zentrum: Brücke-Osteuropa - gemeinfrei, weitere Motive: privat