Mit Methoden der Rasterfahndung überprüft der Fiskus zukünftig alle Steuerbürger und teilt sie in Risikoklassen ein.
Auf den ersten Blick sind die Neuerungen verlockend: Möglicherweise können Steuerzahler alsbald mit einer deutlich schnelleren Bearbeitung ihrer Steuererklärungen rechnen. Die Finanzverwaltung arbeitet nämlich seit Längerem an Verfahren, von denen sie sich verspricht, damit präzise die Steuerfälle identifizieren zu können, bei denen sich eine genauere Prüfung lohnt. Die anderen Fälle könnten dann mehr oder weniger durchgewunken werden. Der Preis, der für dieses neue System zu entrichten ist, besteht in einer umfänglichen computergestützten Durchleuchtung aller Steuerbürger. Als 2002 die ersten Pläne für ein Risikomanagement der Finanzverwaltung bekannt wurden, titelte das Handelsblatt zu Recht „Finanzverwaltung setzt auf Rasterfahndung“.
Nun scheinen die Entwicklungsarbeiten soweit vorangeschritten zu sein, dass es mit dem verwaltungsintern „RMS Veranlagung 2.0“ genannten Projekt ernst wird. Das meldete jüngst der Branchendienst steuertip.
Mit Hilfe eines Computerprogramms werden künftig alle Steuererklärungen automatisch auf ihr Steuerrisiko überprüft und dann personell in eine der drei folgenden Risikoklassen (RK) zugeordnet:
- RK 1: Fall mit hohem Risiko
- RK 2: Fall mit mittlerem Risiko
- RK 3: Fall mit geringem oder ohne Risiko
Fälle, für die eine Betriebsprüfung vorgesehen ist, werden maschinell der vierten Risikoklasse RK BP zugeordnet.
Für RK 1 kommen Fälle in Betracht, in denen vielfältige Gestaltungsmöglichkeiten vorhanden sind. Indizien sind viele verschiedene Einkommensarten, Zugehörigkeit zu einer gestaltungsanfälligen Branche, hohe Einkünfte und Umsätze. Wer hier zugeordnet wird, muss fest mit einer intensiven Prüfung rechnen inklusive Betriebsvergleichen und Datenbankabfragen.
In RK 2 kommen Fälle, bei denen zwar kein Bedarf für eine Komplettprüfung gesehen wird, wohl aber angenommen werden kann, dass personell oder maschinell lohnende Prüfungspunkte erkannt werden können. Hier kommt zum Tragen, dass bereits begonnen wurde, die Steuerformulare mit Kennziffern zu versehen und Daten zu erheben, die für die Steuererklärung gar nicht notwendig sind, wohl aber für die risikoadjustierte Bearbeitung durch die Finanzverwaltung.
Daten in diesem Sinne können auch solche sein, die in keinem Steuergesetz zur Angabe gefordert werden, welche die Finanzverwaltung aber dennoch erhebt. Zum Beispiel die Angabe der Einheitswertaktenzeichen in Zeile 6 der Anlage V zur Einkommensteuer oder einige Angaben in der Anlage EÜR zur Einkommensteuererklärung. Hier sind Angaben zu machen, die schon jetzt der Vorbereitung und Verfeinerung des Datenpools der Finanzverwaltung dienen. Das dürfte sich in der Zukunft auch vor dem Hintergrund der ab 2011 elektronisch einzureichenden Bilanzen und Steuererklärungen noch erheblich ausweiten.
In RK 3 wird eingestuft, wenn der Fall nach den bisherigen Erkenntnissen risikoarm oder gar risikolos ist. Dazu dürfen im Bereich der Bilanz oder der formlosen EÜR keine Fragen auftauchen, die einer erneuten Prüfung oder Überwachung bedürfen und weiterhin keine Zweifel an der Zuverlässigkeit des Steuerpflichtigen bestehen. RK 3 bedeutet, dass keine personelle Prüfung stattfindet und der Fall automatisch freigegeben wird. Es wird nur ein sogenannter Mindestfilter zur Überwachung installiert, der automatisch Alarm schlägt, wenn ein neu hinzugekommenes Risiko identifiziert wird.
RK 3 wird allerdings längstens für vier Jahre vergeben. Dann wird der Fall automatisch der Risikoklasse 2 zugeordnet und eine sogenannte Turnusprüfung angesetzt.
Bei der Frage, ob eine Betriebsprüfung stattfindet, liegt im Zusammenspiel von Veranlagungsstelle und Betriebsprüfungsstelle die Entscheidung bei Letzterer: Hat sich die Betriebsprüfungsstelle für eine Betriebsprüfung entschieden, wird die bisherige Risikoklasse automatisch in RK BP umgeschrieben. Diese Einteilung kann personell nicht umgeschrieben werden. Nach Abschluss der Prüfung soll der Prüfer eine Prognose für die Risikoklasse abgeben und überwachungswürdige Sachverhalte festhalten.
Unabhängig von der konkreten Einteilung in Risikoklassen sollen 2 % der Fälle per Zufallsauswahl in jedem Fall geprüft werden.
In der Öffentlichkeit sind die Vorbereitungen für RMS 2.0 kaum bekannt, und der Fiskus tut auch nichts dafür, dass sich das ändert. Das liegt zum einen daran, dass befürchtet wird, dass dann, wenn die Einteilungskriterien bekannt oder gar quantifizierbar werden, Steuerzahler versuchen könnten, ihre Zuteilung in bestimmte Risikoklassen durch entsprechende Angaben zu forcieren. Zum anderen soll nicht ernsthaft diskutiert werden, auf welch zweifelhafter Datenbasis die Finanzverwaltung ihre Verdachtsannahmen begründet.
bdp wird die weitere Entwicklung beobachten und Sie frühzeitig informieren.